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Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt sofortigen Abschiebe-Stopp und Bleiberecht für Roma

Diskriminierung und Rassismus gegen Roma sind in Deutschland allgegenwärtig. Die im März 2019 beim Bundesministerium des Innern installierte Unabhängige Kommission Antiziganismus (UKA) sollte umfassend untersuchen, wie sie sich äußern und Empfehlungen an die Politik ausarbeiten. Das Ergebnis dieser Arbeit wurde am 4. und 5. Juni 2021 im Rahmen einer Konferenz  präsentiert. Die UKA bestand aus 11 Personen, die im Bereich „Antiziganismus“/ Diskriminierung gegen Roma tätig sind. Von Anfang an hatte die Zusammensetzung der Kommission große Kritik hervorgerufen, da der überwiegende Teil der Mitglieder der deutschen Mehrheitsbevölkerung angehören. Zwei Sinti und nur eine Romni sind als Expert_innen Mitglieder der Kommission.

Die Kommission hat Studien zu verschiedenen Aspekten von Diskriminierung, aber auch Empowerment in Auftrag gegeben. Die Arbeit der Selbstorganisationen ist darin eingeflossen, ebenso wie deren Perspektiven und Forderungen. Die jahrelange Arbeit des Roma Centers zum Thema Bleiberecht ist darin eingegangen, wobei wir insbesondere Gani Rama als Beispiel für extremen institutionellen und strukturellen Rassismus, der zu seinem Tod geführt hat, eingebracht haben.

Als Ergebnis der zweijährigen Kommission steht ein Bericht. Der darin „dokumentierte Antiziganismus stellt ein aktuelles, historisch gewachsenes und eigenständiges Macht- und Gewaltverhältnis dar, dessen bislang radikalste Ausprägung der staatlich organisierte Genozid im Nationalsozialismus war. Die Bundesregierung und der Bundestag, in deren Auftrag die Unabhängige Kommission Antiziganismus ihre Empfehlungen ausgearbeitet hat, stehen nunmehr in der Verantwortung, gezielt, unmittelbar und ohne Nivellierung der Besonderheit von Antiziganismus dessen Bekämpfung und Überwindung auf die politische Agenda zu setzen.“

Die UKA hat sechs zentrale Empfehlungen herausgearbeitet:

1. Berufung einer_eines Beauftragten gegen Antiziganismus und Einsetzung eines unabhängigen Beratungskreises

Das Amt soll im Bundeskanzleramt angesiedelt werden und die Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus und der Prävention koordinieren. Der Beratungskreis soll mehrheitlich aus Roma und Sinti bestehen.

2. Schaffung einer ständigen Bund-Länder-Kommission

Da viele der von der UKA empfohlenen Maßnahmen auf Landesebene entschieden und durchgeführt werden müssen, sollen auch in den einzelnen Bundesländern entsprechende Beauftragte mit Beratungskreis installiert werden.

3. Umfassende Anerkennung des nationalsozialistischen Genozids an Roma und Sinti

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus verhinderten die ehemaligen Täter_innen über Jahrzehnte eine Anerkennung des an Roma und Sinti begangenen Völkermords. Dies hat entscheidend zum Fortwirken von Diskriminierung und Rassismus gegen Roma nach 1945 beigetragen. Zunächst soll das Bundesministerium der Finanzen, die zuständigen Behörden explizit auf den Grundsatz einer Kollektivverfolgung von Roma und Sinti für den Zeitraum vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 hinweisen. Für nicht in Deutschland lebende Überlebende fordert die UKA die Einrichtung eines Sonderfonds. Neben den Überlebenden selbst soll auch die Zweite Generation für den gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Schaden, den sie erlitten hat, eine Entschädigung erhalten.

4. Kommission zur Aufarbeitung des an Roma und Sinti begangenen Unrechts in der BRD

Durch staatliche Behörden und andere gesellschaftliche Institutionen (z.B. Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Ausländer- und Sozialbehörden, Schulen, Jugendämter, Kirchen, Wohlfahrtsverbände) wurde und wird Roma gravierendes Unrecht zugefügt. Eine Aufarbeitung dieser Zweiten Verfolgung ist einzuleiten. Eine Wahrheitskommission soll installiert werden.

5. Anerkennung von geflüchteten Roma als besonders schutzwürdige Gruppe

„In der Asylpolitik des wiedervereinigten Deutschlands führten seit 1990 antiziganistisch geprägte Debatten und Praktiken zu einer erheblichen Benachteiligung von Roma, die in Deutschland Schutz vor Diskriminierung, Gewalt und Krieg suchten. Fluchtursachen wurden nicht anerkannt, und auch eine historische Verantwortung wurde für diese Überlebenden und Nachkommen eines vom nationalsozialistischen Deutschland zu verantwortenden Genozids von der Bundesrepublik nicht übernommen. Insbesondere Roma, die aus Jugoslawien und den postjugoslawischen Staaten nach Deutschland flohen, wurde Zugang zu Recht, Wohnen, Gesundheit, Bildung und Arbeit erheblich erschwert oder gar verweigert. Ihnen wurde damit jegliche Zukunftsperspektive verwehrt.“

Daher empfiehlt die UKA, Roma aus „historischen und humanitären Gründen als eine besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen“ und Abschiebungen von Roma sofort zu beenden. Die Einstufung der Westbalkanstaaten als „sichere Herkunftsstaaten“ soll zurück genommen werden. Behörden sollen die tatsächliche Situation von Roma in diesen Staaten prüfen und kumulative Verfolgungsgründe anerkennen.

6. Umsetzung und Verstetigung von Partizipationsstrukturen

Die Selbstorganisationen sollen in staatlichen Gremien vertreten sein, die die Communities betreffen, und besser strukturell gefördert werden.

Die Zitate stammen vom Deutschen Institut für Menschenrechte, bei dem die UKA koordiniert wurde.

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