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Die Dom im Nahen Osten. Roma in der Corona-Krise. Teil 5

Die Dom im Nahen Osten. Roma in der Corona-Krise. Teil 5

Wir haben bereits viel über die Situation von Roma in der Corona-Krise in Europa berichtet. Aber auch außerhalb unseres kleinen Kontinents trifft die Krise Roma schwer. Die Dom sind Roma im Nahen Osten.

Sie sind die zerbrechlichste soziale Gruppe in den Ländern, in denen sie seit Jahrhunderten leben. Schätzungsweise leben in den Ländern des Nahen Ostens etwa 3-5 Millionen Dom. Sie wurden und werden systematisch diskriminiert, von der öffentlichen Sphäre ausgeschlossen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Zu ihrer ohnehin prekären Lebenssituation erlebten und erleben sie durch die Kriege in Syrien und im Irak zusätzlich Gewalt, Flucht und Vertreibung. So sind viele der syrischen Dom in die Türkei geflohen.

Ähnlich wie in den Jugoslawien-Kriegen der 1990er Jahre, hielten sich Dom aus den Kriegen und Konflikten raus und blieben neutral. Das macht sie schnell zur Zielscheibe. Sie mussten ihr Zuhause verlassen, überquerten die Grenzen und versuchen, in behelfsmäßigen Häusern, Baracken und Zelten zu überleben. Sie versuchen, ihrer Kinder zu ernähren, indem sie Wertstoffe sammeln und als Saisonarbeiter und Tagelöhner arbeiten. In der Hoffnung, eine Arbeit zu finden, kehrten viele zum Nomadentum zurück.

Wie in vielen Ländern Europas, leben Dom häufig an den Stadträndern oder auf dem Land und sind somit weitgehend vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Die Viertel, in denen sie leben, sind sehr überfüllt, es fehlt an sauberem Wasser, Strom, Abwassersystemen und Infrastruktur. Auch der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung ist massiv eingeschränkt.

Die Dom fühlen sich in den Ländern, in denen sie leben, nicht sicher. Sie wechseln oft ihren Wohnort, weil sie keine Ausweise besitzen, wegen der Wehrpflicht oder weil sie Geflüchtete sind.  Der Rassismus gegen Roma und die Diskriminierung durch Regierungen und Ordnungskräfte mobilisieren sie. Einige der syrischen Dom-Gruppen wechseln ständig ihren Wohnort aus Angst, in Lager geschickt und abgeschoben zu werden.

Nun, mit der weltweiten Ausbreitung des Corona-Virus, kommt eine weitere Bedrohung hinzu. Aufgrund ihrer Lebensverhältnisse und der anhaltenden Diskriminierung gegen sie, sind sie erheblich gefährdeter als andere Menschen der Region.

Ein Teil der Dom-Community führt nach wie vor ein (halb-)nomadisches Leben. So kann es passieren, dass mit dem Corona-Virus infizierte Menschen die Krankheit mit in andere Orte bringen und sich das Virus in den Großfamilien ausbreitet. Ihre beengten Lebensbedingungen machen es unmöglich, soziale Distanz einzuhalten – nach aktuellem Kenntnisstand eine der wichtigsten Regeln, um die Viruserkrankung nicht weiter zu verbreiten. Dies könnte die Anti-Roma-Stimmung in den Gesellschaften anheizen, und die Dom könnten beschuldigt werden, Corona zu verbreiten. In Europa beobachten wir bereits, dass Roma in der aktuellen Krise wieder als Sündenböcke herhalten müssen.

Auch im Nahen Osten hat die Stimmung gegen Geflüchtete und Migrant_innen zugenommen, und in der Krisensituation nimmt sicherlich die Gefahr zu, dass dieses Klima gewalttätige Ausmaße annimmt.

Reisebeschränkungen würden den Dom den Zugang zu Nahrung, sauberem Wasser, Unterkunft und Gesundheitsversorgung abschneiden. Da Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen in solchen Krisen oft nicht vor Ort sind, könnten die Regierungen versuchen, die vertriebenen Dom abzuschieben.

Die meisten Dom arbeiten unter prekären Bedingungen in Saisonarbeit, Recycling und Gelegenheitsarbeit. Diese Arbeiten sind jetzt, wie in Europa, aufgrund der Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona, wie etwa Ausgangssperren, nicht mehr möglich. Die Menschen wird so die Möglichkeit genommen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Soziale Unterstützung, die in den Ländern des Nahen Ostens bereits begrenzt ist, kann die Dom-Familien möglicherweise nicht erreichen, da es “tiefe (versteckte) roma-feindliche Gefühle” unter den Regierungsmitarbeitern und den humanitären Helfern gibt. Insbesondere die vertriebenen/ geflüchteten Dom-Familien könnten durch systematische Diskriminierung der sozialen Hilfe beraubt werden. Die syrischen Dom haben möglicherweise keinen Zugang zu Sozialhilfe in den Ländern, in denen sie Asyl beantragt haben, weil sie gezwungen sind, in Lagern zu bleiben oder abgeschoben werden, oder weil sie nicht über die erforderlichen offiziellen Dokumente verfügen.

In Krisenzeiten kann der Anstieg der Preise für Grundbedürfnisse und Nahrungsmittel dazu führen, dass Dom-Familien, die ohnehin nur begrenzten Zugang zu ihnen haben, Hunger leiden. Die Geflüchteten haben hier noch ein größeres Risiko, da sie auf die Hilfe humanitärer Organisationen angewiesen sind, deren Verteilung von Hilfsgütern nun möglicherweise verzögert oder ganz ausgesetzt wird.

Auf Grund mangelnder Alphabetisierung, fehlendem Zugang zu Informations- und Kommunikationskanälen, Mangel an Informationen über die Übertragungswege des Virus und Schutzmethoden sind die Dom einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt.

Dom-Communities in allen Ländern leben in überfüllten oder erweiterten Familien. Die Wohnungen, in denen sie leben, sind hinsichtlich der Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit und ihres täglichen Lebens ungeeignet. Viele verbringen die meiste Zeit des Jahres in provisorischen Zelten und verfügen nicht über sauberes Wasser und hygienische Bedingungen. Dom haben allgemein eine niedrigere Lebenserwartung als andere Menschen in den Ländern, in denen sie leben. Chronische Krankheiten und Gesundheitsprobleme, die durch Unterernährung entstehen, sind in der Community recht häufig. Das macht sie zusätzlich anfällig für die neue Viruserkrankung.

Der Klimawandel führt zu einem Rückgang der Wasserressourcen, die im Nahen Osten bereits unzureichend sind. Diese Situation hat die (halb-)nomadischen Communities gezwungen, ihre Migrationsrouten zu ändern, das Nomadentum aufzugeben und sich an den Stadträndern anzusiedeln. Der Zugang zu lebensnotwendigen Grundbedürfnissen wie Nahrung, Gesundheitsversorgung, Arbeit, Unterkunft und Bildung ist dort schwierig. Eines der Hauptprobleme der Community ist der Zugang zu sauberem Wasser. Die hohen Preise für Wasserrechnungen führen dazu, dass die Community auf natürliche Wasserressourcen zurückgreift, Brunnen und Fließgewässer oder andere Quellen nutzen muss, die häufig mit Pestiziden oder Industrieabfällen verunreinigt sind.

Viele Dom-Kinder in den Ländern des Nahen Ostens haben nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit, zur Schule zu besuchen. Fast 90% der vertriebenen syrischen Dom-Kinder können nicht zur Schule gehen. Diskriminierung und Ausgrenzung in den Schulen ebenso wie Armut gehören zu den Gründen, warum Dom-Kinder die Schule abbrechen. Die Pandemie-Krise wird die Barrieren für den Zugang dieser Kinder zu Bildung weiter vergrößern und die Situation erheblich verschlimmern.

Besonders Dom-Kinder, die in der Türkei zur Schule gehen, haben aufgrund der Lebensbedingungen Probleme bei der Teilnahme am Heimunterricht. Überfüllte Häuser sind zum Lernen nicht geeignet. Die meisten Familien haben zudem keinen Computer oder die Eltern können ihren Kindern nicht beim Unterricht helfen, da sie nicht alphabetisiert sind. Kindern, die auch im formalen Bildungssystem keinen Zugang zum gleichen Recht auf Bildung haben, werden diese Rechte durch den Fernunterricht völlig vorenthalten. Einrichtungen von NGOs, die geflüchtete Kinder im Nahen Osten unterrichten, sind wegen der Epidemie geschlossen worden.

Die Informationen zu den Dom und ihrer Situation im Nahen Osten stammen aus der Publikation Dom Communities and Dom Immigrants from Syria in Middle East Countries at Risk of Covid-19 Pandemic von Kirkayak Kültür.

Wir haben über die geflüchteten Dom des Krieges in Syrien berichtet.

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