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Porjamos und Widerstand. Die Deportation der rumänischen Roma nach Transnistrien

Porjamos und Widerstand. Die Deportation der rumänischen Roma nach Transnistrien

Zu den weitgehend unbekannten Teilen des Porajmos gehört die Deportation von mehr als 25.000 Roma aus Rumänien nach Transnistrien. Kaum die Hälfte von ihnen überlebte.

Im September 1940 wurde Marschall Ion Antonescu der Staatsführer Rumäniens, zunächst noch mit Regierungsbeteiligung der faschistischen Eisernen Garde. Bereits im November verbündete Rumänien sich mit den Achsenmächten (Deutsches Reich, Italien und Japan). Die Vernichtung der rumänischen Juden und Roma gehörte zu den Zielen des faschistischen Antonescu-Regimes, Rumänien ethnisch „rein“ zu machen.

Zu dieser Zeit gab es auch in Rumänien Wissenschaftler, die der Eugenik anhingen und sich auf Robert Ritter beriefen, der die „wissenschaftlichen“ Grundlagen für die Vernichtung der Roma lieferte. Die rumänischen Anhänger dieser Ideen betrachteten Roma als sozial randständige Arme mit hoher Kriminalitätsrate. Viele Roma waren tatsächlich gesellschaftlich marginalisiert. Während diese Marginalisierung tatsächlich Folge von 500 Jahren Versklavung von Roma in Rumänien war, rassifizierten diese Wissenschaftler Roma und sahen sie als Bedrohung der “rassischen Reinheit” der Rumänen durch die fortschreitende Assimilierung der Roma. Daher wurde etwa vorgeschlagen, Roma in Zwangsarbeitslagern zu internieren und sie zu sterilisieren. So könne man sie nach einer Generation loswerden.

Im Januar 1941 publizierte Cuvântul, die Zeitschrift der Eisernen Garde, einen Artikel, in dem die „Priorität der Z*-Frage“ auf der Agenda der neuen Regierung betont wurde. In dem Artikel wurden Gesetze vorgeschlagen, wie etwa ein Ehe-Verbot zwischen Rumän_innen und Roma und die schrittweise Isolierung der Roma in einem Ghetto.

Bereits im Februar 1941 sprach die rumänische Regierung über Maßnahmen gegen Roma. Eine Idee war, Bukarester Roma in Dörfer umzusiedeln. Mit dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, trat Rumänien als Verbündeter des Deutschen Reiches in den Zweiten Weltkrieg ein, und das Gebiet Transnistrien wurde von der rumänischen Armee besetzt. Nun hatte man ein Gebiet außerhalb Rumäniens, wohin man Roma deportieren konnte.

Im Mai 1942 ordnete Antonescu einen Zensus an, um Roma zu zählen. Es wurden mehr als 40000 Roma erfasst, von denen mehr als 75 Prozent sesshaft waren. Das Regime hielt auch fest, wen es für „gefährlich“ hielt. Darunter fielen die nomadisch lebenden Roma generell und sesshafte Roma, die arbeitslos oder vorbestraft waren (arbeitslose oder vorbestrafte Rumän_innen wurden nicht deportiert). Die gelisteten Roma sollten von den lokalen Behörden überwacht werden und durften das Land nicht verlassen.

Am 1. Juni begann die Deportation der nomadischen Roma. Sie reisten in ihren eigenen Wagen nach Transnistrien. Bis zum 2. Oktober 1942 wurden insgesamt 11.441 nomadische Roma nach Transnistrien deportiert, darunter 6.714, Kinder. Ihre Pferde und Wagen wurden ihnen nach der Ankunft weggenommen. Für die nomadischen Roma waren Wagen und Pferde essentiell, denn sie dienten ihnen nicht nur als Reisemöglichkeiten, sondern auch als Unterkunft und waren wichtig, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Der Überlebende Toma Hristache erinnert sich:

„Als wir deportiert wurden, hat man uns Häuser in Russland versprochen. Und stattdessen haben sie uns in Erdlöcher gesteckt. […] In den Planwagen war alles drin, was wir brauchten. Unsere Töpfe, der Familienschatz, alles was wir geerbt hatten. Und dann haben sie uns alles weggenommen. Die Leute, die versuchten, aus den Wagen noch etwas rauszuholen, sind erschossen worden.“

Die Überlebende Elisabeta Bancu (1927-2016):

„Es muss um Pfingsten herum gewesen sein. Da mussten wir vor einem Armeekommando antreten. Die Gendarmen haben dann gesagt: Ihr geht jetzt. Und macht Euch auf den Weg. Stellt Euch auf und los! Da stand die Polizei und passte auf, dass wir alle da waren. Das Militär da hat dann den Konvoi übernommen. Nach zwei Monaten, als wir dann in Transnistrien angekommen sind, hat man uns alles weggenommen.“

Im September wurde mit der Deportation der sesshaften Roma, die als “unerwünscht” identifiziert worden waren, begonnen. Sie wurden in mehreren Zügen deportiert.

Ein Überlebender erinnert sich:

„Es waren vielleicht über hundert Menschen, die sich ohne Sitzplätze in den Waggon drängten. […] Es war heiß, es war September. Wir schliefen einer über dem anderen. [Es gab] keine Toiletten.  Wenn der Zug anhielt, ging man auf die Toilette. Wenn einige krank wurden, blieben sie es. Viele Frauen bekamen Babys im Zug. Wir haben Platz für sie geschaffen. Die Roma-Frauen wurden füreinander zu Hebammen. […]”

Sie wurden aus ihren Häusern vertrieben und durften nicht mal das Nötigste mitnehmen. Sie hatten keine Zeit, ihren Besitz und ihr Vieh zu verkaufen. Davon profitierten die Leiter der örtlichen Gendarmerie und Polizei, denn sie kauften sie häufig zu extrem niedrigen Preisen auf. Das Nationale Zentrum für Rumänisierung nahm Häuser und alle anderen Güter der deportierten Roma in Besitz.

Insgesamt wurden etwa 12 Prozent der rumänischen Roma nach Transnistrien deportiert. Die Deportationen dauerten bis September 1942; danach fanden noch bis Dezember 1943 vereinzelte Deportationen statt. Es ist nicht ganz klar, warum sie dann stoppten, denn die restlichen von den mehr als 40000 Personen, die beim Zensus registriert worden waren, sollten ursprünglich auch deportiert werden. Es hatte auch einen Plan gegeben, nach und nach alle „Nicht-Rumänen“ aus Rumänien zu schaffen. Die meisten sollten gegen Rumän_innen anderer Länder ausgetauscht werden, während sämtliche Juden und Roma deportiert werden sollten.

In Transnistrien wurden die Roma in oder an den Rändern von Dörfern untergebracht. Aus manchen Orten wurden die ukrainischen Bewohner_innen deswegen umgesiedelt.

Die Lebensbedingungen in Transnistrien waren sehr hart. Die von der Regierung festgelegten Lebensmittelrationen wurden nicht eingehalten; manchmal wurde wochenlang nichts verteilt. Die Roma wurden auch nicht mit Brennholz versorgt, so dass sie weder Essen zubereiten noch sich wärmen konnten. Sie hatten keine Kleidung, keine Seife, keine Medikamente.

Elisabeta Bancu:

„Dort wo wir waren, gab es Sonnenblumen. Und wer es schaffte, hat sich die Sonnenblumen geschnappt und die Kerne gegessen. Aber wer sich erwischen ließ, ist erschossen worden. Die Stängel von den Sonnenblumen benutzten wir, um damit Feuer zu machen. Das war unser Holz. Die Deutschen waren dafür verantwortlich. Es waren nur 4 rumänische Soldaten dort.“

Ein Geheimdienstagent berichtete am 5. Dezember 1942:

“Aufgrund von Unterernährung haben einige der Z* – und das ist die Mehrheit – so viel Gewicht verloren, dass sie zu lebenden Skeletten geworden sind.  Täglich – besonders in der letzten Zeit – starben zehn bis fünfzehn Z*. Sie waren voll von Parasiten. Sie bekamen keinen Arztbesuch und hatten keine Medizin. Sie waren nackt […] und sie hatten keine Unterwäsche oder Kleidung.  Es gibt Frauen, deren Körper […] im wahrsten Sinne des Wortes nackt waren. Sie hatten seit ihrer Ankunft keine Seife bekommen; deshalb haben sie sich nicht gewaschen und auch nicht das einzige Hemd, das sie besitzen.“

Und diese Situation verschlimmerte sich noch erheblich, denn im Winter 1942/43 brach eine Typhus-Epidemie aus, die sich schnell in den überfüllten Hütten, Häusern und Baracken ausbreitete, in denen die Roma untergebracht waren. In diesem Winter starben Tausende Roma an Hunger, Kälte und Krankheit.

Ioan Constantin, der als Kind mit seiner Familie nach Transnistrien deportiert wurde, erinnert sich:

„Auch meine Mutter ist an Typhus erkrankt. Im September 1942 wurden wir deportiert. Meine Mutter hat es nur bis Januar 1943 ausgehalten. Die während der Nacht an Thyphus gestorben waren, wurden in einen Wagen geworfen. Etwas weiter weg waren Laufgräben, die von den Kämpfen übrig geblieben waren. Sie wurden in die Laufgräben geworfen und dann mit Erde bedeckt.

Morgens kamen die Gendarmen. Diejenigen, die gesünder waren, wurden mit Knüppeln heraus und zur Arbeit getrieben. Wir, die kleineren Kinder, blieben in den Ställen, wo wir untergebracht waren, in den Kolchosen. Wir mussten die leeren Säcke bringen, damit sie verladen wurden, und die Ställe reinigen.“

Sein Bruder Braila Constantin:

„Im April 1943 kamen wir zu einer Farm. Wir Kinder bekamen einen Hacken mit so einem Blechteil vorne dran. Und so gingen wir durch den Weizen und jäteten Unkraut. Auch dort lebten wir in Ställen. Als Ration bekamen wir 100 Gramm Hirsemehl. Wir brachten noch Maiskörner vom Feld. Dort sind wir bis zum Frühling 1944 geblieben. Dann sind wir zu Fuß 90 Kilometer nach Tiraspol gegangen. Ohne Essen, ohne alles, ohne Schuhzeug. Von dort sind wir auf dem Dach eines Zuges nach Rumänien gefahren.“

In manchen Gegenden Transnistriens verbesserte sich die Situation für Roma in 1943. Sie wurden für Arbeiten eingesetzt – landwirtschaftliche Arbeiten, die Reparatur von Straßen und Eisenbahnen, Waldarbeiten – und bekamen dafür etwas Geld. Manche Menschen konnten auch in den Dörfern als Handwerker arbeiten. In den anderen Gegenden ging der Hunger und später im Jahr auch die Kälte weiter. Sie mussten Zwangsarbeit leisten und bekamen dafür weder Geld noch Lebensmittel.

Toma Hristache:

„Die Rumänen haben uns in Gruppen zu 30 Leuten aufgeteilt, um Kartoffeln zu sammeln. Erstmal waren wir eine Stunde zu Fuß unterwegs. Von Sonnenaufgang bis nachts wurde gearbeitet […]Von den Wächtern vor den Lagern gab es Stockhiebe. Zum Beispiel, wenn Du beim Einlass nicht ordentlich geantwortet hast, oder zugehört hast gab es Schläge. Entweder 50 auf den Hintern. Oder 25 hier auf die Oberschenkel. Stockhiebe. Wenn es schlimmere Vergehen waren dann halt entsprechend mehr, 100 Stockschläge.“

Viele Roma flohen aus Transnistrien, wurden aber in der Regel festgenommen und zurückgebracht. Vasile Ionita, der 40 Jahre alt war, als er deportiert wurden, sagte:

„Wir konnten nicht entkommen. Denn wenn wir wegliefen, wurden wir gefangen und getötet. Wenn sie uns im Zug erwischten, warfen sie uns aus dem Zug und töteten uns.“

Als bereits mehr als 2000 Personen geflohen waren, wurde ein Straflager in Golta eingerichtet, in das 475 Menschen interniert wurden.

Der Überlebende Kaiser Stanescu berichtet auch von Morden in Transnistrien durch deutsche Soldaten:

„Einmal, da waren in einem Wagen neun Kinder. Und da sind zwei deutsche Soldaten gekommen und sie haben die Pferde von den Wagen genommen. Die Soldaten konnten ihre Waffen nicht alleine tragen und sie haben sie auf die Pferde gelegt. Und dann begannen die Kinder zu schreien. Die Soldaten haben daraufhin alle Kinder erschossen.“ Und: „Ein Mann wollte sich auf am Straßenrand erholen und dann ist ein deutscher Soldat gekommen und hat ihn erschossen.“

Im März 1944 wurde die Gegend von der Roten Armee befreit. Bis dahin war die Hälfte der deportierten Roma nicht mehr am Leben. Am 19. April 1944 ordnete die Generalinspektion der Gendarmerie an, alle Roma aus Transnistrien auf ihrer Flucht zu stoppen. Sie sollten dort wohnen und arbeiten, wo sie aufgegriffen wurden und durften nicht mehr weiterziehen. Sie sollten in der Landwirtschaft eingesetzt werden, jedoch waren die meisten körperlich gar nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Nach Antonescus Sturz im August 1944 konnten sie in ihre Heimatdörfer zurückzukehren. Auch nach ihrer Rückkehr starben noch viele Roma an Krankheiten wie Typhus und Tuberkulose. Ihr Eigentum, das sie vor der Deportation besessen hatten, bekamen sie nicht zurück.

In den Kriegsverbrecherprozessen nach dem Krieg wurde die Deportation der Roma kaum erwähnt. Auch sonst interessierte sich niemand für diese Menschen. Die einzige Initiative zu ihrer Unterstützung kam Anfang 1945 von der Allgemeinen Union der Roma in Rumänien, deren Hauptziel “die moralische und materielle Unterstützung aller Roma und insbesondere aller nach Transnistrien deportierten Roma” war. Aber auch sie hat sich später nicht weiter damit befasst. „Entschädigungen“ gab es nicht.

In der Wahrnehmung der rumänischen Gesellschaft war die Verfolgung der Roma in der Zeit des Zweiten Weltkriegs weitgehend verdrängt und geleugnet worden. Der Holocaust wurde nicht mit Rumänien in Verbindung gebracht. Nach dem Ende des Staats-Sozialismus, erlebte Antonescu ein Revival. Er wurde als Held des Kampfes gegen den Kommunismus gefeiert. Das Bewusstsein für den Holocaust in der Mehrheitsbevölkerung ist bis heute sehr gering.

Zum Mangel an Bewusstsein gehört auch, dass sich nicht wissenschaftlich mit dem Holocaust gegen Roma beschäftigt wird. Zu den Deportationen nach Transnistrien gibt es zwar mittlerweile einige Literatur, jedoch bleiben größere Forschungslücken zur Verfolgung der Roma im faschistischen Rumänien. So schreibt Gernot Haupt 2006, das Ausmaß der Verbrechen der SS sei völlig ungeklärt. Haupt ist auf ein Dokument des Regierungskommissars Radu Lecca gestoßen, in dem er von einer Erschießungsaktion der SS am Bahnhof von Trihatca berichtet, der angeblich 11.000 Roma zum Opfer gefallen sind. Dieses Dokument werde in der Literatur nicht erwähnt.

Literatur:

Michelle Kelso und Daina S. Eglitis, Holocaust commemoration in Romania: Roma and the contested politics of memory and memorialization, Journal of Genocide Research, 2014, S. 487-511.

Adrian-Nicolae Furtună, Social Representation of the Roma Deportations to Transnistria, Holocaust. Studii şi Cercetări, 2012, S. 115-139.


The Deportation of the Roma and their Treatment in Transnistria:

Gernot Haupt: Deportation rumänischer Roma nach Transnistrien 1942 – 1944, 2006.

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