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Roma-Überlebende aus dem ehemaligen Jugoslawien

Roma-Überlebende aus dem ehemaligen Jugoslawien
Der Historiker Rainer Schulze erinnert an die systematische Verfolgung von Roma und Sinti während der Nazi-Herrschaft in Deutschland und der von ihnen besetzten Gebiete Europas.
Vor etwa 15 Jahren hat der Autor und Menschenrechtsaktivist Paul Polansky Roma interviewt, die während des Zweiten Weltkriegs in verschiedenen Teilen Jugoslawiens lebten. Diese Oral Histories dokumentieren die Vielfalt von Unterdrückung und Verfolgung, die Roma in Südosteuropa während dieser Zeit erlitten.
Eine der Interviewten war Katica Djurdjevič. Sie wurde 1921 in dem kroatischen Dorf Viri geboren und wuchs in der Tradition der Lovara-Roma auf. Ihr Vater reiste mit einem Pferdewagen durch die anliegenden Dörfer, um Haushaltswaren zu verkaufen und auf den Feldern zu arbeiten, während ihre Mutter eine Wahrsagerin war. Katica heiratete sehr jung und bekam zwei Kinder. Ihr Mann Milan Šain war ein Kalderaš-Rom, und sie zog zu seiner Familie ins nordkroatische Pitomača. Mit Wahrsagerei, die sie von ihrer Mutter und ihrer Großmutter gelernt hatte, trug sie zum Familienunterhalt bei.
Die meisten Roma in den ländlichen Gebieten Kroatiens waren immer arm und hatten kaum Zugang zu Bildung. Jedoch erst als der Krieg 1941 nach Jugoslawien kam und die Ustaša einen kroatischen Marionettenstaat errichte, wurden sie Gewalt und Missbrauch unterworfen. Die Männer der Ustaša streiften durch das Land und zwangen Roma zur Feldarbeit. Viele Roma-Frauen wurden vergewaltigt. Eines nachts trieben die Ustaša-Männer die Roma aus Pitomača zusammen und zwangen sie für sie zu spielen und zu tanzen. Katica erinnerte sich an etliche Male, von ihrem Mann versteckt worden zu sein, als Ustaša-Männer sich gewaltsam Zutritt zu ihrem Haus verschafften. Sie lebte in permanenter Angst.
Die ersten, die verschleppt wurden, waren Katicas Verwandte in Viri. Sie wurden ins Konzentrationslager Jasenovac deportiert und ermordet. Katicas Mann und Onkel wurden aufgrund ihrer körperlichen Kraft zur Zwangsarbeit in Deutschland selektiert. Eines nachts gegen Ende des Krieges wurden Katica, ihre kleinen Kinder und die restlichen Mitglieder der Familie ihres Mannes zusammengetrieben und in Viehwagen nach Jasenovac transportiert.
Als sie nach acht Tagen das Lager erreichten, wurde ihnen mitgeteilt, dass sie nach Hause gehen könnten. Die Befehle hatten sich geändert und als „nicht-nomadische“ Roma würden sie nicht länger eingesperrt. Sie wurden in den gleichen Viehwagen zurück nach Pitomača geschickt. Als sie ankamen, waren ihre Häuser von der Ustaša ausgeplündert, zerstört oder abgebrannt worden.
Katicas Mann kam schließlich nach Ende des Krieges nach Hause. Jedoch gab es nie irgendeine Entschädigung für die Zwangsarbeit, die er in Deutschland geleistet hatte, für die Verfolgung, die der Rest der Familie in Kroatien erlitten hatte oder für den Verlust ihres Eigentums. 50 Jahre später, während des kroatischen Unabhängigkeitskriegs 1991-95, kamen die alten Ängste vor der Ustaša wieder: „Die Ustaša-Kroaten hassen uns. Sie hassen uns einfach nur, weil wir Roma sind.“
Remzedin Durmiševič wurde 1923 im südserbischen Niš geboren, wo seine Familie im Roma-Viertel lebte. Sein Vater arbeitete im Eisenbahnausbesserungswerk, seine Mutter blieb zu Hause und zog die vier Kinder auf. Als die Deutschen 1941 Serbien besetzten, wurden die meisten Männer aus  Niš ins Konzentrationslager Crveni Krst gebracht, wo einige von ihnen ermordet wurden, während andere, wie Remzedin, Zwangsarbeit für die Deutschen leisten mussten. Sie mussten gelbe Armbinden tragen, die sie als Roma auswiesen.
1942 wurde Remzedin mit seinem 14jährigen Bruder zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert, wo er in einer Fabrik in Osnabrück arbeiten musste. Ihm gelang es 1943 mit einem gefälschten Beurlaubungspass zu fliehen und kehrte heimlich nach Niš zurück, wo sich seine Mutter und verbliebenen Geschwister in den Ruinen der Roma-Siedlung verbargen. Remzedin schloss sich den Partisanen an, um gegen die deutschen Truppen und die serbisch-nationalistischen Četnik-Milizen zu kämpfen. Er hatte den Eindruck, dass die Partisanen Roma nicht diskriminierten und das Z-Wort nicht benutzten.
Remzedin kam 1946 zurück nach Niš und arbeitete für dasselbe Ausbesserungswerk, für das sein Vater gearbeitet hatte. Viele Roma waren zurück nach Niš gekommen, aber das Leben war hart: „Die Serben wollten uns nicht, da wir Roma waren.“
Diese Geschichten zeigen, wie Roma während des Zweiten Weltkriegs misshandelt wurden. Vielleicht verstörender noch zeigen sie die Kontinuitäten der Diskriminierung und des Rassismus gegen Roma von der Vorkriegszeit, in die Nachkriegszeit bis zum heutigen Tag.

 

Übersetzung eines Artikels für den Blog Holocaust Memorial Day Trust von Rainer Schulz, Professor für Moderne Europäische Geschichte an der Universität von Essex. Schulz organisiert die jährliche Holocaust-Gedenkwoche an der University of Essex.
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