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Bosnien: 31 Roma-Kinder in „Horror-Haus“ gefunden, acht Personen wegen Verdachts auf Kinderhandel verhaftet

Ende Februar 2025 wurden acht Personen, darunter ein Polizist, in Bosnien-Herzegowina wegen des Verdachts auf Menschenhandel mit Kindern verhaftet. 31 Kinder waren am 25. Februar in einem Haus in Brčko gefunden worden, nachdem eine desorientierte Zwölfjährige um Hilfe gebeten hatte und die Polizei verständigt wurde.

Das Haus wurde von den Medien schnell als „Horror-Haus“ genannt. Die aufgefundenen Kinder waren überwiegend Mädchen. Die Zwölfjährige, die für Rettung gesorgt hatte, war eine der ältesten. Die meisten waren teils deutlich jünger, manche noch Säuglinge. Sechs Kinder hatten kroatische Dokumente, jedoch ist unklar ob die Dokumente der Kinder echt oder gefälscht sind. Es gestaltet sich daher schwierig, die Eltern der Kinder zu finden. Einstweilen wurden die Kinder in einem Hotel untergebracht und vom Roten Kreuz und Sozialarbeiter:innen betreut. Sie wurden medizinisch, manche Mädchen zusätzlich gynäkologisch, untersucht.

Laut European Roma Rights Centre und anderen Medien handelt es sich bei den 31 Kindern um Roma. Laut der Juristin und Kinderrechtlerin Ana Kotur Erkić aus Brčko sind Roma-Kinder am stärksten von Menschenhandel betroffen. Sie vermutet, dass noch viele unentdeckte Fälle von Kinderhandel existieren und kritisiert zudem den komplett unzureichenden institutionellen Kinderschutz in Bosnien. Es gebe kein Schutzhaus für Opfer von Menschenhandel mehr, seit das einzige 2023 geschlossen werden musste, weil der Staatshaushalt für 2024 nicht rechtzeitig verabschiedet worden sei. 2021 wurde der letzte staatliche Bericht über Menschenhandel in Bosnien und Herzegowina veröffentlicht. Das heißt, es existieren keine aktuellen offiziellen Daten.

Die Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings (GRETA) des Europarats hat in ihrem Bericht 2022 geschrieben, dass es sich bei den meisten Opfern bei aufgedeckten Fällen von Kinderhandel um Roma handelt. Der Bericht erwähnt zwar, dass einige Projekte durchgeführt worden seien, um Roma beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Schule zu unterstützen, jedoch würden die dem Problem zugrunde liegenden Ursachen wie Diskriminierung, sozialer Ausschluss und Armut nicht angegangen. Das macht sie besonders vulnerabel für Menschenhandel.

Auch der in 2024 veröffentlichte Bericht der Europäischen Kommission zu Bosnien schreibt, dass das Land trotz Dringlichkeit keine Maßnahmen gegen Ausbeutung oder Gewalt an Kindern sowie zum Schutz von Kindern ergriffen habe. Besonders Roma-Kinder seien von den schlimmsten Formen der Kinderarbeit betroffen. Das Land müsse zudem sicherstellen, dass alle Kinder eine Krankenversicherung erhalten und die Justiz müsse kinderfreundlicher werden, insbesondere hinsichtlich Kindern aus Minderheiten, migrantischen und behinderter Kinder. Roma seien die vulnerabelste und am meisten benachteiligte Minderheit (Romnja in noch höherem Maß), Diskriminierung behindere ihre soziale Inklusion und das Land stelle nicht genügend Mittel zur Umsetzung der EU-Roma-Strategie zur Verfügung. Ungleichheit im Gesundheitswesen existiere nach wie vor, insbesondere für Minderheiten, darunter Roma, aber auch für Frauen und Behinderte. Spezielle medizinische Versorgung für Opfer sexualisierter Gewalt existiere nicht.

Warum hat die Nachbarschaft in Brčko nicht schon längst die Behörden alarmiert? Fand sie es nicht verwunderlich, dass in jenem Haus so viele Kinder lebten? Eine Nachbarin fand „nichts Ungewöhnliches daran“. Sie habe in den acht Jahren, in denen sie dort lebte, viele Kinder gesehen, die ihre Nachbarin betreute. Die Nachbarschaft ging davon aus, sie betreibe einen (illegalen) Kindergarten, in dem sie die Kinder von Saisonarbeiter:innen betreue.

Es gab laut Medien auch Personen, die aussagten, dass sie für die Unterbringung ihrer Kinder dort zahlten. Ob es sich um die echten Eltern dort untergebrachter Kinder handelt, ist den Behörden zufolge unklar. Die Aussage der genannten Nachbarin lässt befürchten, dass hier seit mindestens acht Jahren Menschenhandel mit Kindern betrieben wurde. Wieviele Kinder betroffen sind und welche Dimensionen der Handel mit Kindern hier annahm, muss noch ermittelt werden. Jedoch soll, wie das European Roma Rights Centre (ERRC) berichtet, bereits 2018 eine Anzeige erstattet worden sein. Besonders gravierend ist entsprechend, dass zu den Verhafteten ein Polizist gehört.

Was mit den Kindern passiert ist oder passieren sollte und was die Absichten der mutmaßlichen Täter:innen sind, ist nicht bekannt. Insbesondere der deutsch-sprachige Boulevard-“Journalismus“ ergeht sich dennoch schonmal in Behauptungen, ein Clan bilde die Kinder zum Betteln und Stehlen aus und reanimiert damit ein weiteres Mal antiziganistische Narrative.

Zum Schutz der Kinder wurden nur sehr wenige Informationen durch die bosnischen Behörden an die Öffentlichkeit gegeben. Die Ermittlungen werden als komplex eingestuft, mehrere Behörden sind beteiligt und Europol wurden eingeschaltet. Brčko liegt in der Nähe zu Kroatien, und einige Kinder sollen von dort stammen. Eine der Verhafteten ist italienische Staatsangehörige.

Das ERRC forderte eine unabhängige Untersuchung des Falls. Dazu gehört auch die Prüfung, ob weitere Strafverfolgungsbeamte oder staatliche Vertreter:innen beteiligt waren. Dabei müssten den Opfern umfassender Schutz gewährt werden und das Wohl jedes betroffenen Kindes oberste Priorität haben. Die Unterbringung in Kinderheimen sollte vermieden werden, um weiteren Schaden, Missbrauch oder Diskriminierung zu verhindern.

Das Thema Menschenhandel wird in Bezug auf Roma-Kinder grundsätzlich unzureichend und einseitig thematisiert. Das gilt auch für die Berichte des Europarates und der Europäischen Kommission. Sie kritisieren zwar, dass das Thema seitens der bosnischen Behörden nicht ernst genommen werde und Formen wie Kinderarbeit, Zwang zu betteln und Ehen von Minderjährigen als „Romakultur“ statt als Folgen von Diskriminierung verhandelt und daher nicht ernst genommen würden. Jedoch thematisieren sie Kinderhandel selbst weitgehend unter diesen Formen des Menschenhandels, während die Verschleppung von Roma-Kindern zwecks sexueller Ausbeutung und andere Formen des Menschenhandels und des Verkaufs von Kindern weitgehend außen vor bleiben. Immer wieder verschwinden Roma-Kinder, und niemand weiß, was mit ihnen passiert.

Quellen:

Europäische Kommission: Bosnia and Herzegovina 2024 Report, Brüssel 2024: https://enlargement.ec.europa.eu/document/download/451db011-6779-40ea-b34b-a0eeda451746_en?filename=Bosnia%20and%20Herzegovina%20Report%202024.pdf.

Secretariat of the Council of Europe Convention on Action against Trafficking in Human Beings: Evaluation Report Bosnia and Herzegovina, Strasbourg 2022: https://rm.coe.int/greta-evaluation-report-bosnia-and-herzegovina-3rd-evaluation-round/1680a70b3b.

https://www.index.hr/vijesti/clanak/u-brckom-nadjeno-31-dijete-objavljeni-detalji-uhiceno-osam-ljudi-ukljucen-i-europol/2646407.aspx

https://www.slobodnaevropa.org/a/bih-brcko-policija-djeca-trgovina-ljudima/33330656.html

https://www.nin.rs/drustvo/vesti/69989/kako-je-razotkrivena-kuca-u-brckom-u-kojoj-je-drzano-31-dete

https://www.errc.org/news/bosnia-31-romani-children-found-in-house-of-horrors-police-officer-among-eight-arrested-for-trafficking

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