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Serbisches Sozialkartengesetz bedroht Existenz von Roma. Internationale Menschenrechtsorganisationen beantragen Überprüfung

Das Roma Center berät nach wie vor viele Roma mit Aufenthalts-Problemen. Wir hatten unzählige Fälle von jungen Menschen, die in Deutschland geboren und nach Serbien abgeschoben wurden, obwohl sie dort keine Zukunftsperspektive haben. Dass dem so ist, hat viele Ursachen. Die meisten gehen aus struktureller und institutioneller Diskriminierung hervor. Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Ausländerbehörden oder Gerichte über die Ablehnung des Aufenthalts bzw. die Abschiebung entscheiden, ist als Argument immer zu lesen, in Serbien gebe es staatliche Krankenversicherung und Sozialhilfe für arme Menschen. Ja, das stimmt.

Wer abgeschoben wurde, hat es jedoch schwer, an diese zu kommen. Vielfach fehlt es an nötigen Papieren oder es sind so hohe bürokratische Hürden zu bewältigen, so dass die Menschen komplett auf die Finanzierung durch im Ausland lebende Angehörige, Freund:innen und Unterstützer:innen angewiesen, also komplett abhängig sind. Denn legal können sie ohne Papiere auch nicht arbeiten.

Diejenigen, die staatlich krankenversichert sind, müssen offizielle und inoffizielle Zuzahlungen leisten, die sie sich vielfach nicht leisten können. Die Sozialhilfe reicht zum Leben nicht. Da Roma häufig keine Arbeit bekommen, müssen viele vom Verkauf von Wertstoffen und anderen Gegenständen leben. Beides zusammen, der Verkauf von Wertstoffen und die geringe Sozialhilfe, reichen – mehr schlecht als recht – zum Überleben.

Im März 2022 ist in Serbien ein Gesetz – das sogenannte Sozialkarten-Gesetz – in Kraft getreten, das die soziale Absicherung insbesondere für Roma noch verschlechtern wird. Das befürchtet jedenfalls das International Network for Economic, Social and Cultural Rights, ein breiter Zusammenschluss von Menschenrechtsorganisationen, zu dem u.a. Amnesty International und das European Roma Rights Centre gehören. Sie haben deswegen Ende November 2022 beim serbischen Verfassungsgericht ein Rechtsgutachten eingereicht und beantragen damit die Überprüfung des Gesetzes.

Der serbische Staat bezeichnet das Gesetz als Mittel zur Förderung der Effizienz des Sozialschutzsystems, das zu einer gerechteren Verteilung von Sozialleistungen führe. Nach Ansicht der Organisationen, die das Gutachten eingereicht haben, bestraft und verletzt der „gefährliche globale Trend zur Digitalisierung der Sozialstaatssysteme die Menschenrechte der am stärksten marginalisierten Bevölkerungsgruppen“, bewirkt also genau das Gegenteil dessen, was angeblich beabsichtig ist.

Laut der serbischen Initiative A11, die das Rechtsgutachten initiiert hat, sind bereits 10 Prozent der Leistungsempfänger:innen vom Sozialschutzsystem ausgeschlossen worden. Da Roma in Serbien aufgrund von langjähriger struktureller und institutioneller Diskriminierung besonders stark marginalisiert sind, trifft sie das neue Gesetz besonders schwer. A11 hat ein Video mit betroffenen Roma veröffentlicht, in dem sie erzählen, warum sie für Sozialhilfe gesperrt wurden und was das für sie und ihre Familie bedeutet: eine existenzielle Bedrohung. Die Personen hatten geringe Beträge vom Verkauf von Wertstoffen auf ihrem Konto oder eine kleine Rente. Es handelt sich durchweg um kleine Beträge von maximal 15.000 Dinar (knapp 130 Euro).

“Das Sozialschutzsystem sollte auf den Einzelnen ausgerichtet sein. Es sollte Sozialarbeiter:innen beschäftigen, die sensibel für die verschiedenen schwierigen Lebensumstände der Menschen sind. So wie es ist, ist der Prozess völlig entmenschlicht. Das System dient in erster Linie dazu, Daten steril und ohne Kontext zu verarbeiten und einen Weg zu finden, den Nutzer:innen den Zugang zu verweigern”, sagt Danilo Ćurčić von der Initiative A11.

In dem Rechtsgutachten wird bekräftigt, dass das Sozialkartengesetz unter anderem das Recht auf soziale Sicherheit der Communities einschränke, die diese Leistungen am dringendsten benötigen, insbesondere der Roma, und dass es auch gegen die bestehenden Verpflichtungen Serbiens im Rahmen der internationalen Menschenrechtsnormen verstoße, wie die Europäische Menschenrechtskonvention und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Darüber hinaus stehe das Gesetzt im Konflikt mit Datenschutzrichtlinien.

In der Stellungnahme heißt es, dass die im Gesetz vorgesehene Datenverarbeitung und Automatisierung darauf abzielen, bestehende Leistungsempfänger:innen aus dem System auszuschließen, anstatt es gerechter zu machen und die Armut zu beseitigen. Durch die Automatisierung des Systems haben diejenigen, deren Leistungen gestrichen werden, keine zuverlässige und offene Möglichkeit, die Richtigkeit der für die Entscheidung herangezogenen Informationen zu überprüfen oder die Entscheidung anzufechten.

Lest auch die Pressemitteilung des ERRC mit weiterführenden Informationen:

http://www.errc.org/press-releases/errc-files-joint-legal-opinion-against-discriminatory-social-welfare-law-in-serbia

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