
Ukraine: 3 Rechtsextreme wegen Angriffen auf Roma verurteilt
In den Jahren 2016 bis 2019 kam es zu mehreren Pogromen gegen Roma in der Ukraine durch rechtsextreme Milizen. Bei den Überfällen auf Roma-Siedlungen schlugen die Täter die Behausungen der Roma kurz und klein oder zündeten sie an. Sie attackierten Menschen, es gab Tote und Verletzte.
Nun wurden drei der Täter verurteilt, die in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni 2018 das Roma-Camp am Stadtrand von Lviv angegriffen haben. Bei dem Überfall wurde der 24jährige Rom David Popp ermordet. Drei weitere Bewohner:innen des Camps wurden mit Stichverletzungen ins Krankenhaus gebracht: ein 19-jähriger Mann, eine 30-jährige Frau und ihr zehnjähriger Sohn. Die Frau wurde verletzt, weil sie ihr Kind schützen wollte, den die Angreifer „wie ein Lamm schlachten wollten“. David wurde im Schlaf angegriffen und erlitt Stichwunden in Kopf und Brust, denen er an Ort und Stelle erlag. Der junge Mann stammte wie die anderen Bewohner:innen des Camps aus Transkarpatien und pendelte immer hin und her, um zu arbeiten.
Die Täter des Überfalls – je nach Quelle elf bis 15 überwiegend minderjährige Männer – gehörten der rechtsextremen Organisation „Nüchterne und wütende Jugend“ an. Verhaftet wurden acht Personen, von denen sieben minderjährig waren. Sie bewaffneten sich am Tag vor dem Angriff mit Holzknüppeln, Messern, Metallrohren, Ketten und einem Hammer. Die Verhafteten verhielten sich selbstbewusst und gaben zu, die Tat geplant zu haben. Ihr Ziel sei es gewesen, die Menschen zu vertreiben. Der Mord sei geschehen, da die Menschen sich weigerten, freiwillig zu gehen. Mit dieser Täter-Opfer-Umkehr stehen sie in einer schlechten alten Tradition. Dass Roma und Sinti selbst schuld an ihrer Verfolgung seien, war auch in Deutschland nach dem Krieg die gängige Ansicht, aufgrund derer weitere Verfolgung statt Aufarbeitung und Entschädigung stattfand.
Drei von ihnen waren bereits vom Bezirksgericht Pustomyty (Region Lviv) zu Bewährungsstrafen verurteilt worden, als nun die Urteile gegen drei weitere Mitglieder ergingen. Der zum Tatzeitpunkt 20jährige Anführer der Gruppe wurde wegen Mordes, Hooliganismus und der Einbeziehung Minderjähriger in kriminelle Aktivitäten zu zehn Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, während die beiden Mittäter, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, zehn Jahre bekamen. Die bereits abgesessene Untersuchungshaft wird auf die Strafe angerechnet, so dass die Täter bereits den größten Teil ihrer Strafe hinter sich haben. Zudem können sie noch in Berufung gehen.
Wie portal.lviv.ua im August 2019 berichtete, wurden zwei der Täter, Schüler einer elften Klasse, bereits damals aus der Haft entlassen. Sie waren zwar zu jeweils vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Da sie sich jedoch vollumfänglich schuldig bekannt hatten und mit der Staatsanwaltschaft kooperierten, wurden sie von der Verbüßung der Strafe befreit.
Romea.cz berichtet, dass keiner der Angreifer jemals Bedauern über die Taten vor Gericht geäußert habe. Sie gaben die Taten zu und sagten aus, dass sie eine rechtsextreme Gruppierung mit dem Ziel gegründet haben, Roma gewaltsam zu vertreiben. Die Gruppierung „Nüchterne und wütende Jugend“ verwendet anscheinend Symbole der Misanthropic Division, eine rechtsextreme Gruppe, die in der Ukraine entstand und dort auch mit der wahrscheinlich bekanntesten rechtsextremen Gruppierung, dem Azov-Batallion, verbunden ist. Die Misanthropic Division hat auch Ableger in anderen Ländern, darunter Russland und Deutschland.
Neben dem Azov-Batallion war es vor allem die rechtsextreme Miliz C14 (S14 gesprochen), die damals hinter vielen der Angriffe auf Roma-Siedlungen steckte. Diese brüstete sich damit auf Facebook und filmte auch Übergriffe, die sie dann ins Netz stellte. C14 hat damals auch öffentlich kundgetan, dass sie mit der lokalen Verwaltung kooperieren. Das wirft ihnen auch die Kharkiv Human Rights Protection Group vor.
Die rechtsextremen Milizen stellen eine gravierende Gefahr für die Roma-Community (und wahrscheinlich auch andere Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen) dar. Dass sie auch vor Mord nicht zurückschrecken, haben sie unter Beweis gestellt. Die größte Gefahr besteht in der Verknüpfung mit institutionellem Rassismus einhergehen. Offensichtlich wird das insbesondere, wenn die Polizei nicht einschreitet oder tatenlos den gewalttätigen Ausschreitungen beiwohnt. In einem von C14 geposteten Video konnte man etwa sehen, wie Polizisten mit Angreifern während der Tat plauderten und nichts taten, die Angegriffenen zu schützen. Gleiches gilt auch für einen Angriff, den das mit Azov verbundene Nationale Kommando (Національні дружини) im Juni 2018 in Kiev beging. Laut Romea hatte die rechtsextreme Gruppierung ihr Vorhaben eine Woche zuvor bereits in sozialen Medien angekündigt. Niemand hatte die anvisierten Opfer gewarnt. Die Ausführung der Tat wurde live gestreamt. Die Polizei schritt nicht ein, wurde gesichtet, wie sie sich mit den Angreifern unterhielt und nationalistische Parolen rief. Amnesty International sprach von einem „Klima der Straflosigkeit, das solche Angriffe befördert“. Im Kontext der Attacken in 2018 hatten das European Roma Rights Centre und das National Roma Centre Klage gegen die Nationale Polizei der Ukraine eingereicht.
Es gibt auch weitere Hinweise, dass zumindest einige der Übergriffe auf Roma-Camps durch lokale Behörden in Auftrag gegeben oder in Kooperation mit diesen durchgeführt wurden. Das berichtet etwa die Kharkiv Human Rights Protection Group auf ihrer Webseite zu einem Fall in der Oblast’ Charkiv im Jahr 2017, bei dem ein Rom durch Schussverletzungen starb und vier verwundet wurden.
Das European Roma Rights Centre kritisiert insbesondere, dass diese brutalen Übergriffe offiziell nicht als rassistisch motivierte Hassverbrechen anerkannt werden, sondern als „Hooliganismus“ verhandelt werden. Zu dem nun ergangenen Urteil gegen den Haupttäter und zwei seiner Komplizen beim Angriff auf das Roma-Camp in Lviv schreibt die Menschenrechtsorganisation:
„Dieses Urteil stellt einen wichtigen und längst überfälligen Schritt in Richtung Gerechtigkeit dar. Doch das Nichtanerkennen und Leugnen des rassistischen Motivs hinter der Gewalt ist keine Neutralität – es ist Mittäterschaft. Gerechtigkeit für bedeutet, Rassismus zu benennen, strafrechtlich zu verfolgen und die Straflosigkeit zu beenden.“
Siehe auch:
Weitere Quellen:
https://romea.cz/en/news/world/the-bells-in-ukraine-are-tolling-for-the-roma
https://www.state.gov/reports/2018-country-reports-on-human-rights-practices/ukraine/