Warum der jugoslawische Pavillion in Auschwitz leer steht
Heute ist der 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Derweil bleibt der Ausstellungsraum zur Erinnerung an die jugoslawischen Opfer des Konzentrationslagers leer, da sich die Nachfolgestaaten nicht einigen können, wie der Holocaust in Jugoslawien dargestellt werden soll.
Zwischen September 1941 und August 1944 wurden mehr als 20.000 Menschen aus dem besetzten Jugoslawien in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dazu gehörten vor allem Juden, Roma und Partisanen aus dem besetzten Jugoslawien und dem von der faschistischen Ustaša regierten „Unabhängigen Staat Kroatien“. Überlebt haben nur wenige.
Im Juni 1947 wurde das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau in Oswiecim, Polen, auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers eröffnet. Im Jahr 1960 stellte das Museum Raum für “nationale Ausstellungen” zur Verfügung, die sich auf die Länder konzentrierten, aus denen Bürger in das Lager deportiert worden waren. Die jugoslawische Nationalausstellung wurde 1963 auf Initiative der Vereinigung jugoslawischer Veteranen des nationalen Befreiungskrieges eröffnet.
Die Ausstellung zeigte vor allem Bilder des jugoslawischen Partisanen-Widerstandes, grafische Darstellungen von Folter und Leiden der jugoslawischen Lagerinsassen, Fotokopien deutscher Dokumente, die die immensen jugoslawischen Opfer des Krieges beschreiben, einschließlich Anordnungen zu massiven Repressalien gegen die Widerstandsaktionen der Partisanen. Völlig fehlte in der Ausstellung das Gedenken für jugoslawische Juden und Roma, die als solche verfolgt und ermordet wurden.
Der Untergang Jugoslawiens in den Kriegen der 1990er Jahre führte zu einer völlig neu geordneten öffentlichen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust in den Nachfolgestaaten. Der Holocaust war für die neuen Staaten meist von untergeordnetem Interesse, da sie alle von der Erinnerung an die in den letzten Kriegen begangenen Gräueltaten verzehrt wurden. Soweit der Holocaust überhaupt Teil der neuen politischen Narrative war, wurde er dazu benutzt, die Brutalität der gegnerischen Seite während des Krieges der 1990er Jahre darzustellen.
So wurde “der Holocaust” in Serbien zur Repräsentation der Ustaša-Gräueltaten gegen die Serben, während in Kroatien und Bosnien die Erinnerungen an die faschistische Bewegung der Četniks zur Repräsentation der serbischen Gräueltaten gegen nichtserbische Zivilist_innen in den Kriegen der 1990er Jahre wurden. Der tatsächliche, umfassende und verheerende Holocaust an jugoslawischen Juden und Roma blieb dabei eine Randnotiz.
In Serbien gibt es nur ein sehr geringes öffentliches Bewusstsein für die Vernichtung der serbischen Juden und noch weniger für das der serbischen Roma, deren Schicksal immer vom Leid der Serben während des Zweiten Weltkriegs überlagert wird, sowohl im besetzten Serbien, aber vor allem auch im „Unabhängigen Staat Kroatien“.
In den letzten zehn Jahren wurde eine Reihe von serbischen faschistischen Kollaborateuren offiziell rehabilitiert. Sie werden nun als serbische antikommunistische Helden gefeiert. Die Rolle, die die verleumdende Regierung von Premierminister Milan Nedić bei der Vernichtung der serbischen Juden spielte, ist der Öffentlichkeit kaum bekannt. Zahlreiche Orte von Massenhinrichtungen serbischer Juden, die es in ganz Serbien gibt, sind fast vollständig verlassen, umgewidmet oder nicht gekennzeichnet.
In Kroatien findet eine Normalisierung der Ustaša im öffentlichen Diskurs statt – ihre Uniformen und Insignien sind in der Öffentlichkeit nicht mehr inakzeptabel. Die historischen Erkenntnisse im Zusammenhang mit den kroatischen Konzentrationslagern, insbesondere dem größten Lager Jasenovac, in dem rund 85.000 Menschen (meist Serben, Juden und Roma) auf besonders grausame Weise getötet wurden, werden erneut in Frage gestellt. In letzter Zeit ist ein Narrativ aufgetaucht, dem zufolge Jasenovac ein kommunistisches und kein faschistisches Lager war, und dass seine Opfer Kroaten waren. Auch die kroatische politische Führung hat zunehmend damit begonnen, den Holocaust auf die Deutschen zu schieben und die zentrale Rolle, die der Unabhängige Staat Kroatien bei der Vernichtung der eigenen Bürger spielte, herunterzuspielen.
In Slowenien haben antikommunistische Intellektuelle die Behauptung aufgestellt, Teharje, ein kommunistisches Gefangenenlager in Slowenien, sei ein Konzentrationslager schlimmer als Auschwitz gewesen. Es folgte eine umfassende Rehabilitation der slowenischen Kollaborateure des Zweiten Weltkriegs. Seit der Unabhängigkeit Sloweniens 1991 wurden mehr als 200 Denkmäler und Gedenkstätten für Kollaborateure errichtet.
Die jeweiligen nationalen Narrative sind so unvereinbar, dass eine gemeinsame Holocaust-Ausstellung, die für alle jugoslawischen Nachfolgestaaten akzeptabel wäre, nur sehr schwer vorstellbar ist. So begann Kroatien 2002, sich für die Schließung des jugoslawischen Pavillons mit dem Argument einzusetzen, dass die jugoslawische Landesausstellung veraltet sei, da das Land, das sie repräsentierte, nicht mehr existiere.
Das Hin und Her mit dem Auschwitz-Museum und anderen jugoslawischen Nachfolgestaaten dauerte bis 2009, als das Museum den jugoslawischen Pavillon schloss und die ausgestellten Objekte zur sicheren Aufbewahrung an das Museum für die Geschichte Jugoslawiens in Belgrad schickte.
2011 bildeten die Regierungen von sechs post-jugoslawischen Staaten (mit Ausnahme des Kosovo) einen Ausschuss, um die Produktion einer gemeinsamen Ausstellung zu überwachen. Seit 2014 ist die Zusammenarbeit jedoch ins Stocken geraten, da die Regierungen sich über Finanzierung und Inhalt nicht einigen konnten, obwohl sie weiterhin versprochen haben, dass irgendwann etwas geschehen wird. Das Museum der Auschwitz-Gedenkstätte hält den Raum weiterhin instand und hofft auf eine gemeinsame Ausstellung. Derzeit weist ein Zeichen die Besucher_innen darauf hin, dass die Ausstellung „renoviert“ werde.
Die 20.000 jugoslawischen Opfer von Auschwitz sind im Museum nicht mehr vertreten, die Erinnerung an ihr Leben und ihren Tod verschwindet mit dem Verschwinden des Staates, in dem sie einst lebten.
Freie Übersetzung des Artikels von Jelena Subotić. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft an der Georgia State University in Atlanta. Sie ist die Autorin von ‘Yellow Star, Red Star: Holocaust Remembrance after Communism’ und‘Hijacked Justice: Dealing with the Past in the Balkans.’