
23jähriger Rom in Tschechien ermordet
Am 10. Juni 2023 wurde ein junger Rom in der tschechischen Stadt Brno von einem Mann erstochen. In einer Straßenbahn soll es gegen 20 Uhr zu einem Konflikt gekommen sein, weil eine Gruppe „Ausländer:innen“ die Musik einer Gruppe von Jugendlichen nicht mochte. Als beide Gruppen an derselben Haltestelle ausstiegen, ging der Konflikt weiter. Ein Mann attackierte zwei junge Männer mit einem Messer. Einer der beiden, der 23jährige Rom Nikolas Dirda, erlag im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Sein Freund überlebte mit Stichwunden.
Der mutmaßliche Täter wird von der Polizei als „Ausländer“ bezeichnet, in sozialen Medien wird jedoch verbreitet, er sei Ukrainer. Der 37jährige wurde noch am Tatort festgenommen und befindet sich nun wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft.
Vom rechten politischen Spektrum wird der Vorfall ausgeschlachtet, um gegen Geflüchtete und Ausländer:innen Stimmung zu machen. Personen, die sonst gegen Roma hetzen, benutzen nun diesen Mord und damit einen tschechischen Rom, um gegen Geflüchtete zu hetzen. Eigentlich hatte die Roma-Aktivistin Žaneta Plachetková aus Brno für den 17. Juni eine friedliche Demonstration zum Gedenken an Nikolas Dirda angemeldet. Jedoch hat sie sie abgesagt, um zu vermeiden, dass „die falschen Leute“ die Veranstaltung vereinnahmen oder benutzen, um Hass zu verbreiten.
Obwohl die Veranstaltung abgesagt wurde, kamen etwa 1000 Menschen am 17. Juni, um Nikolas Dirda zu gedenken. Nach der Veranstaltung wurde er auf dem Zentralfriedhof in Brno beigesetzt.

Die Tat hat die tschechischen Roma-Bevölkerung alarmiert. Denn natürlich ruft ein solcher Mord die Erinnerung an die Pogrome, die rechtsextreme „Bürgerwehren“ in der Ukraine gegen Roma begangen haben, hervor. Die Gefahr, die durch diese Gruppierungen ausgeht, ist derzeit in den Ländern, in denen die Solidarität mit der Ukraine Staatsraison ist, kaum thematisierbar.
Gleichzeitig ist die strukturelle und institutionelle Diskriminierung sowie auch der alltägliche Rassismus gegen Roma in der Tschechischen Republik anhaltend hoch. Wir erinnern uns nur an Stanislav Tomáš, der starb, nachdem ein Polizist minutenlang auf seinem Nacken gekniet hatte. Nach diesem tödlichen Polizeieinsatz wurden die involvierten Polizeibeamt:innen nicht etwa vor Gericht gestellt, sondern von der Regierung für ihre gute Arbeit gelobt.
Rechtsextremismus ist nicht nur eine Gefahr, die aus der Ukraine kommt. Er ist eine Gefahr in ganz Europa. Ein AfD-Kandidat hat kürzlich in einem Ort in Thüringen die Wahl zum Landrat gewonnen, die AfD hat auf Bundesebene gerade Umfragewerte von 19,7% und damit mehr als SPD und Grüne. Im Mai 2023 wurden zwei Neo-Nazis in Tschechien frühzeitig aus der Haft entlassen. Sie waren zu 20 Jahren verurteilt worden, nachdem sie „zu Ehren“ von Hitlers Geburtstag 2009 das Haus einer Roma-Familie mit Molotow-Cocktails beworfen hatten. Dabei wurden drei Menschen verletzt, unter anderem die zweijährige Tochter der Familie, deren Haut zu 80% verbrannte und die drei Finger verlor. Sie musste sich zahlreichen Operationen unterziehen und ist bis heute auf Pflege angewiesen.
Ukrainische Roma, die vor dem Krieg in die Tschechischen Republik geflüchtet sind, sind dort so schlecht behandelt worden, dass sie inzwischen in anderen Ländern Zuflucht gesucht haben. Ihnen wurde unterstellt, keine „echten“ Geflüchteten zu sein, sie wurden kafkaesken Registrierungs-Odysseen unterworfen, viele waren obdachlos und haben nur Unterstützung durch Roma-Organisationen und Einzelpersonen erhalten. Sie waren gänzlich unerwünscht. Demgegenüber steht die Tatsache, dass Tschechien prozentual (gemessen an der eigenen Einwohnerzahl) erheblich mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen hat als etwa Deutschland und sogar etwas mehr als Polen. Nach aktuellem Stand lebt eine halbe Million Geflüchtete aus der Ukraine in Tschechien bei einer Einwohnerzahl von nur 10,5 Millionen. Einer dieser Menschen soll nun einen tschechischen Rom ermordet haben. Ob die Tat politische Hintergründe hatte, bleibt unklar, da sich die Behörden dazu nicht äußern. Es ist nur allzu verständlich, dass viele tschechische Roma wütend sind.