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Geflüchtete Roma aus der Ukraine in Tschechien

Recherchereise des Roma Centers nach Prag und Brno

Als wir in Prag ankommen, treffen wir uns mit Ivanka, einer Romni aus Prag, die geflüchtete Roma unterstützt. In der tschechischen Hauptstadt kommen viele Geflüchtete aus der Ukraine an. Am Anfang war die Situation für die weißen Geflüchteten gut. Die weißen Ukrainer:innen kamen vielfach in privaten Wohnungen unter. Als der Staat realisierte, dass Roma aus der Ukraine kamen, änderte sich die Lage zusehends. Für sie gibt es kafkaeske Regelungen, um an Visa für Geflüchtete zu kommen. Sie müssen zu vier Personen gehen, vier Stadien überwinden, bevor sie überhaupt den eigentlichen Antrag stellen können. Jede Person sagt ihnen etwas anderes. Sie warten jeweils ein bis vier Tage in einem Zelt. Die eine Person erzählt ihnen etwas über Unterkunft, die nächste nennt ihnen wieder andere Gründe, warum sie weggehen sollen. Zudem werden die meisten Roma auf doppelte Staatsbürgerschaft überprüft, was eine besondere Schikane darstellt.

Ein Teil der Roma, die nach Tschechien fliehen kommt aus der Oblast Transkarpatien über Ungarn. Transkarpatien liegt im Westen der Ukraine. Aktuell ist in dieser Region (noch) kein Krieg, daher fliehen viele ukrainische Roma dorthin. Transkarpatien ist eine arme Region. Infolge langjähriger struktureller Diskriminierung sind die Roma dort besonders arm, leben von der Hand in den Mund. Auch wenn dort derzeit keine Bomben niedergehen, trifft der Krieg sie mit voller Härte. Die Männer wurden zur Armee eingezogen. Arbeit gab es für Roma schon vor dem Krieg nur im informellen Bereich, nun gar nicht mehr. Durch den Zuzug der Binnenvertriebenen fehlt es an allem – Essen, Kleidung, Unterkunft. Eine humanitäre Katastrophe scheint greifbar nah.

Ein Teil der Bewohner:innen in der Oblast Transkarpatien spricht Ungarisch. Die Orbán-Regierung  hat 2011 eine Gesetzesänderung zur Erhöhung ihrer Wählerschaft durchgeführt, nach der die „ungarische Diaspora“ im Ausland eine doppelte Staatsbürgerschaft erlangen kann. Diese Möglichkeit haben manche ungarisch sprachige Ukrainer:innen, darunter auch Roma, aus Transkarpatien genutzt, denn sie haben damit neben der ukrainischen auch die Staatsangehörigkeit eines EU-Landes. Dieser Umstand wird jetzt von der Tschechischen Regierung gegen Roma ausgenutzt, denn weiße Ukrainer:innen werden nicht auf doppelte Staatsangehörigkeit überprüft.

Auf den ersten Blick möchte man meinen, es ginge der Regierung darum, Roma die Registrierung als Geflüchtete zu verweigern, denn wer positiv auf eine doppelte Staatsbürgerschaft geprüft wurde, erhält keinen temporären Schutz und die damit verbundenen Leistungen. Die Statistik besagt, dass bis Anfang Juni von ca. 5500 überprüften Personen lediglich 150 eine doppelte Staatsbürgerschaft besaßen. Das sind weniger als drei Prozent. Angesichts dieser verschwindend geringen Zahl muss hinter diesem Thema viel mehr stecken, als ein paar Kronen einzusparen. Wir werden im Verlauf unserer Recherchen in Prag und Brno immer wieder darüber stoßen.

Zunächst sind wir noch bei Ivanka. Sie ist die Leiterin eines Kindergartens und empfängt uns in ihrem Garten bei einem Lagerfeuer. Gemeinsam warten wir auf eine Gruppe junger Roma-Musiker:innen, die sie während ihres Auftritts in Prag in einer Jurte in ihrem Garten unterbringt, in dem sonst die Kindergarten-Kinder spielen. Neben ihrer Arbeit verbringt Ivanka im Moment den Großteil ihrer Zeit damit, ukrainische Roma zu unterstützen. Wir sagen ihr, warum wir gekommen sind. Sie wird wütend. „Jeder kommt zu spät, um zu helfen!“

So ist es. Viele ukrainische Roma sind inzwischen zurück in die Ukraine gegangen. Am nächsten Tag besuchen wir mit Ivanka eine Familie, die ihr besonders ans Herz gewachsen ist. Sie sind in einem Hostel untergebracht. In dieser Touristenstadt mit ihren bombastischen Gebäuden und dem strahlenden Sonnenschein, fällt die Ärmlichkeit der Unterkunft ins Auge. Wir sprechen mit Vasilina, eine Frau mittleren Alters, die sich um alle anderen kümmert. Sie ist die Mutter, Schwiegermutter, Großmutter der meisten anderen, die im Hostel untergebracht sind. Insgesamt leben dort fünf Erwachsene und 21 Kinder. Zwei ihrer Söhne wurden eingezogen und sind in Donezk stationiert.

Vasilinas große Sorge ist aber im Moment ihre anderthalbjährige Enkelin. Sie hat eine Krankheit oder Behinderung am Rücken, genau kann sie es nicht sagen, und muss dringend operiert werden. In Tschechien hat sie keine Hilfe bekommen, obwohl Geflüchtete aus der Ukraine ein Anrecht auf ärztliche Versorgung haben. Die Mutter ist daher mit ihrem Baby zurück in die Ukraine gegangen, wo die Kleine notoperiert werden soll. Vasilina sagt, sie sei in Mukačevo und zeigt uns ein Foto von Mutter und Tochter in einem Bunker. Wie es ihnen gerade geht, weiß sie nicht.

Die Menschen im Hostel sind seit vier Monaten hier. Sie sind zwar registriert, haben aber nur am Anfang Geld bekommen. Für Mai und Juni haben sie nichts bekommen, weder Geld noch Lebensmittel. Ohne private Spenden hätten sie nichts zu essen. Ivanka hat ihnen einiges mitgebracht. Auch ein Priester bringt ihnen manchmal Spenden. Offiziell dürfen die Leute ein Jahr in der Unterkunft bleiben, bekommen aber keinerlei Leistungen. Sie müssen gehen, weil sie nichts zu essen haben. Sie wollen nur noch auf die Rückkehr des Babys warten.

Vasilinas Familie kommt aus Kiev und hat fünf Jahre in Mariupol gelebt. Sie hat ein kleines Haus, das noch steht. Das ihres Sohnes wurde zerstört. Sie sagt, vor dem Krieg war die Situation schon schlimm. Sie hatten immer nur inoffizielle Arbeit, nur kleine Kinder haben staatliche Unterstützung bekommen. Sie sagt, die Roma haben in einer Straße gelebt, die Gadje in einer anderen. Als wir sie fragen, ob sie Probleme mit den Gadje hatten, sagt sie nein. Dann beschreibt sie wie Roma beleidigt und abgewertet werden. Aber sie sieht das nicht als Problem, sie sei daran gewöhnt. Rassismus als Alltag.

Marija ist Vasilinas Schwiegertochter. Sie hat vor einem Monat ihr sechstes Kinder bekommen. Sie würde gerne hier bleiben. Ihre Kinder gehen in den Kindergarten und zur Schule. Ivanka ergänzt, es sei die gute Arbeit der Sozialarbeiter:innen, dass die Kinder hinkönnen. Gemeint sind die Sozialarbeiter:innen der Roma-Organisationen in Prag. Wir werden später mit ihnen reden. Die Kinder gehen jedoch nicht in die regulären Schulen, sondern sind in segregierten Klassen. Im September sollen sie in die normale Schule gehen können.

Wir reden mit der anderen Schwiegertochter. Auch sie ist mit ihren Kindern hier, während ihre Eltern in der Ukraine geblieben sind. Sie leben eine Stunde entfernt von Užhorod, der Hauptstadt Transkarpatiens. Sie erzählt, dass sie mit ihren Kindern in einem Raum gelebt hat, dass sie nichts mehr zu essen hatten.

Wir geben den Frauen jeweils einen Teil der Spenden, die wir in Deutschland in unserer Spendenaktion gesammelt haben. Wahrscheinlich schicken sie sie zu ihren Familien in die Ukraine.

Nach dem Besuch bei Vasilina und den anderen fahren wir ins Zentrum der Stadt, wo das Regisitrierungs-Zentrum für Geflüchtete aus der Ukraine ist. Wir wundern uns über die Menschenleere. Lediglich Polizist:innen und Security-Mitarbeiter:innen sind zu sehen. Vor kurzem noch waren in zwei Zelten vor dem Zentrum ukrainische Roma untergebracht. Diese Menschen hatten dort tagelang keinen Zugang zu Wasser. Sie haben auf Feldbetten geschlafen und hatten Decken. Ivanka sagt, es sei dennoch sehr kalt gewesen, da die Heizung nicht angemacht wurde. Es gab viel Kritik an den Zelten, daher seien sie abgebaut worden. Eine alternative Unterbringung gab es nicht.

Der Grund, warum diese Menschen separat „untergebracht“ waren: Die Regierung verdächtigte sie der doppelten Staatsbürgerschaft. Innehalb von zehn Tagen soll dies überprüft werden. Wer positiv geprüft wurde, erhält keinen Schutzstatus. Aber auch wer keine doppelte Staatsbürgerschaft hat, bekommt manchmal keinen. Die Wege sind kompliziert. Von hier aus wurden die Menschen ohne doppelte Staatsangehörigkeit dann weiter in die „Zeltstädte“, Hostels oder jene Unterkünfte gebracht, die Invanka als „Detention Centres“ bezeichnet. Das sind die offiziellen Unterkünfte, in denen die Geflüchteten, fast ausschließlich Roma, von bewaffnetem Personal bewacht werden.

Vor dem Registrierungs-Zentrum werden wir von Ivan abgeholt und in das Büro der Sozialarbeiter:innen der Roma-Organisationen geführt, die dort arbeiten. Einen Tag vor unserer Ankunft wurde das Registrierungs-Zentrum offiziell geschlossen, da der Prager Bürgermeister Zdeněk Hřib von den Piraten der Meinung ist, dass zuviele Geflüchtete nach Prag kommen und will, dass die Menschen „besser“ verteilt werden und hat darüber mit der tschechischen Regierung verhandelt. Es sollen Maßnahmen getroffen werden, Geflüchtete zu motivieren, in anderen Regionen zu gehen.

Wir stellen uns vor. Besonders interessant findet Dana unseren Namen „Roma Antidiscrimination Network“, da sie den Begriff der Antidiskriminierung noch nie im Namen einer NGO gehört hat. Sie ist froh, dass wir da sind. Mit den vier Personen sprechen wir über die Situation der ukrainischen Roma. Heute sind bisher sieben Roma angekommen. Ivan sagt, sie seien jetzt in Troja. Troja ist ein Stadtteil von Prag. Dort wurde die erste sogenannte Zeltstadt für geflüchtete Roma aus der Ukraine errichtet. Auch im Prager Stadtteil Malešice gibt es einen solchen Zeltplatz. Errichtet wurden sie für die ukrainischen Roma, die auf dem Prager Bahnhof gestrandet und obdachlos waren. Mehr dazu später. Die Zelte in Troja und Malešice haben eine Kapazität für jeweils 150 Personen.

Es soll eine Absprache zwischen dem tschechischen und dem ukrainischen Innenminister gegeben haben, Roma nicht nach Tschechien zu lassen. Wir haben bereits vielfach gehört, dass Roma nicht über die Grenzen gelassen werden. Ist das Rassismus durch einzelne Grenzbeamt:innen oder Order von oben? Eine der Sozialarbeiter:innen vermutet das als Grund, warum aktuell nicht mehr viele Roma kommen. Sie hat Kontakt zu Roma, die bereits in Tschechien waren, und jetzt nicht mehr über die Grenze gelassen werden. Diese Menschen sind jetzt als Binnenvertriebene in Transkarpatien, wo sie keine Hilfe erreicht.

Das ist ein großes Problem, das uns schon seit Beginn des Krieges begleitet. Während zwar die Unterstützung groß ist und es offensichtlich viele humanitäre Lieferungen in die Ukraine gibt, kommt bei diesen Menschen nichts an. Wir werden darum gebeten, politisch Druck auszuüben, damit die humanitäte Hilfe gleich verteilt werde und nicht auf dem Schwarzmarkt verschwindet. Einer der Sozialarbeiter sagt: Wenn die Ukraine in die EU will, muss sie sich an die Regeln zivilisierter Länder halten.

Eine der Sozialarbeiter:innen war gestern in Brno. Dort sind 40 Roma angekommen, die auf dem dortigen Zeltplatz untergebracht sind. Sie hat erfahren, dass jemand von der Stadt dahin gekommen sei und den Menschen 2000 Kronen (80 Euro) angeboten habe, damit sie zurück in die Ukraine gingen.

In tschechischen Medien verbreitet sich das Narrativ vom „Sozialtourismus“, ein Begriff der suggeriert, dass nur weiße Ukrainer:innen berechtigt Asyl beantragen, während Roma nur vor der Armut fliehen und von Unterstützungsmaßnahmen profitieren wollen. Dieses Narrativ ist nicht nur in Tschechien virulent, sondern zum Beispiel auch in Ungarn.

Zu den ganz wenigen positiven Dingen, die wir erfahren, gehört: Ein paar ukrainische Romnja haben von der Stadt Prag Stellen als Reinigungskräfte bekommen. Das heißt, sie haben offizielle Arbeit und können ihre Familien versorgen, was angesichts der katastrophalen Versorgungslage von Roma in der Ukraine aktuell das wichtigste ist.

Auch von den Sozialarbeiter:innen bekommen wir zu hören: Alle Welt kommt hierher, um Fotos und Interviews zu machen, aber an wen können wir uns wenden, um die Situation zu verändern? Eines Tages werde der Krieg zu Ende sein und das hier werde als Kriegsverbrechen angesehen werden.

Als wir das Registrierungs-Zentrum verlassen, kommt gerade eine Roma-Familie an. Sie wird sofort von Polizist:innen eingesammelt, und woanders hin gebracht. Wohin, erfahren wir nicht.

Wir fahren zum Prager Bahnhof. Dort „lebten“ bis vor kurzem noch 700 obdachlose Roma aus der Ukraine. Als wir dort ankommen, finden wir den normalen Bahnhof einer europäischen Hauptstadt vor. Fast nichts erinnert mehr an die katastrophalen Zustände, die dazu geführt hatten, dass die NGOs dort aus Protest ihre Unterstützung für die Geflüchteten aufgegeben hatten.

Knapp zwei Wochen vor unserem Besuch, erzählt uns Ivanka, habe die Polizei am Prager Bahnhof Roma eingesammelt und in eine andere Stadt gebracht. Ihnen wurde gesagt, Prag sei voll und sie sollten sich woanders registrieren. Ivanka war dabei, als die Polizei sie mitnahm, und war mit ihnen in Kontakt. Als sie sie wieder anriefen, waren sie in Ungarn, denn an dem Ort, an den die Polizei sie gebracht hatte, gab es keine Registrierung.

Auf Romea lesen wir am Tag unserer Ankunft in Prag, die Bürgermeisterin der tschechischen Stadt Bílina wolle nicht, dass geflüchtete Roma aus der Ukraine in ihrer Stadt untergebracht würden und bezeichnet sie als „nicht anpassungsfähig“. Wir erfahren in Prag, dass sie nicht die einzige ist. In vielen kleiner Städten würden die Bürgermeister:innen Druck vom Volk bekommen, keine Roma aufzunehmen. Das Handeln dieser Bürgermeister:innen ist rassistischer Populismus. Hetze gegen Roma ist in vielen ost- und südosteuropäischen Ländern vor Wahlen beliebt.

Auch der allgemeine Umgang des tschechischen Staates mit den geflüchteten Roma hat viel mit Populismus zu tun. Um generell striktere Regeln für Geflüchtete durchzusetzen, werden Roma aus der Ukraine benutzt. Sie werden als „Sozialtourist:innen“ diffamiert, die „nicht anpassungsfähig“ an die tschechische Gesellschaft seien und die ohnehin keine richtigen Kriegsgeflüchteten seien. Dafür ist auch die doppelten Staatsbürgerschaft ein gefundenes Fressen. Obwohl sie faktisch nur auf eine verschwindend geringe Zahl der ukrainischen Roma zutrifft, wird das Thema aufgebauscht und suggeriert, diese Menschen seien keine „echten Geflüchteten“, sondern EU-Bürger:innen, die nur die Sozialsysteme ausnutzen wollten.

Am letzten Tag unserer Recherchereise fahren wir nach Brno im Süden Tschechiens. In der zweitgrößten Stadt des Landes befindet sich der erste Hauptbahnhof über Ungarn und wird ebenso wie Prag wegen ihres Umgangs mit ukrainischen Roma von NGO und Unterstützer:innen kritisiert. Auch Brno hat einen Zeltplatz. Während die Prager Zeltplätze jedoch noch einige „Annehmlichkeiten“ wie Zelte für die Verpflegung der Geflüchteten bieten, finden wir in Brno die spartanische Version vor.

Auf einen nicht befestigten Grund hat die Feuerwehr drei große Zelte aufgestellt, vier Baustellenklos, einen Wassertank und einen Container. Tische und Bänke stehen unter einem „Pavillon“ aus Stangen und Planen. Die Planen und teilweise auch die Stangen werden ständig vom Winde verweht. Dennoch bieten diese Planen den einzigen Schutz vor der brütenden Sonne. Es ist unfassbar heiß. Trotzdem erschlägt uns fast die Hitze, als wir in eins der Zelte treten. Einer der ganz wenigen anwesenden Männer sagt, es sei unmöglich dort zu schlafen. Die Luft kann man fast schneiden, so dick ist sie. In den Zelten gibt es nicht einmal Feldbetten. Die Menschen schlafen auf Paletten.

Während unserer Anwesenheit kommen ein paar Feuerwehr-Leute, die kurz die Zelte prüfen. Jan, ein Mitarbeiter der lokalen Roma-NGO IQ Roma Servis, sagt, sie seien ganz okay. Für mehr als die Infrastruktur fühlt sich die Stadt nicht verantwortlich. Um die Menschen kümmern sich Freiwillige von Roma-NGOs. Sie besorgen Essen, kochen für sie. Anders als in Prag, wo man eine Genehmigung der Stadt zum Besuch der Zeltplätze brauch, kann in Brno hier jede:r hingehen. Um den Zeltplatz herum ist ein Zaun und die Menschen können nachts das Tor zumachen. Jan sagt, hier fühlen sie sich weniger unsicher als in den offiziellen Unterkünften mit bewaffnetem Personal. Das macht vor allem den Kindern Angst. Auch er vergleicht die offiziellen Unterkünfte mit Gefängnissen. Ein Problem dabei ist: Wenn sie die erste Unterkunft ablehnen, die der Staat ihnen „anbietet“, bekommen sie keine Hilfe mehr, bis auf ein wenig finanzielle Unterstützung. Diese bringen sie meistens in die Ukraine, da ihre Angehörigen dort keine Arbeit mehr haben und es den Menschen an allem fehlt.

Heute sind hier 60 Menschen, darunter etwa 25 Kinder. Fast alle Erwachsenen sind Frauen. Es ist ein älterer Mann da und einer, der gehbehindert ist. Die Zahl der Leute hier schwankt täglich. Viele gehen zurück in die Ukraine. Ein Problem dabei ist, dass sie keine staatliche Unterstützung mehr in Tschechien bekommen, wenn sie danach zurück kommen. Manche sind seit einer Woche hier. Nach Brno kommen viele Roma über Budapest aus Transkarpatien. Wir haben ein bisschen Schwierigkeiten, uns mit den Leuten hier zu verständigen, da die meisten in erster Linie Ungarisch sprechen, was keine:r von uns kann. Manche sprechen Russisch oder Ukrainisch nur eine ältere Frau spricht Romanes. Sie übersetzt auch für die anderen, wenn es nötig wird. Sie ist aus Mukačevo. Auch von diesen Frauen erfahren wir, dass ihre Männer bei der Armee sind.

Jan erzählt uns, wie dankbar die Menschen hier für jede Hilfe sind. Als wir da sind, fragt eine Frau nach einer Creme für ihr Baby, das offensichtlich eine Hautkrankheit hat. Ein Junge fragt nach einer Windel. Den Menschen hier fehlt es an allem. Die Helfer:innen bringen Essen, Windeln, Kleidung und zweimal am Tag frisches Wasser. Oder sie bringen jemanden zum Arzt. Sie versuchen auch, Jobs für sie zu finden, damit sie ihre Familien ernähren können. Für ein paar hat es geklappt.

Die „Bewohner:innen“ halten den Platz sehr sauber, aber weil der Boden nicht befestigt ist, bekommt dreckige Füße, wer keine geschlossenen Schuhe trägt, selbst wenn es, wie heute, trocken ist. Die Stadt hat diesen „Ort“ gebaut, weil sie nicht wollte, dass die Menschen sich obdachlos am Bahnhof aufhalten. Die meisten bleiben nur wenige Tage, weil es nicht auszuhalten ist. „Weiße Ukrainer:innen bekommen bessere Bedingungen, innerhalb einer Woche,“ sagt Jan.

Während wir in Prag von Absprachen gehört haben, dass die Ukraine keine Roma nach Tschechien lassen soll, sagt Jan, die Ukraine pushe Roma, nach Tschechien zu gehen, um Unterstützung zu bekommen. Beides ist möglich, wahrscheinlich. In Tschechien gibt es zwischen den regionalen Regierungen und der Staatsregierung Streit um die Geflüchteten. Warum soll es in der Ukraine anders sein?

Auch Jan bringt die Behandlung der Roma durch die Stadt mit Wahlen in Verbindung. Im September wird in Brno gewählt. Daher wäre es nachteilig für die regierenden Politiker:innen, Roma zu helfen.

Die Situation ist für Roma in Tschechien desolat. In der Slowakei soll sie noch schlimmer sein. Niemand bleibt dort. Bevor wir die Menschen hier zurücklassen, verteilen wir die restlichen Spenden, die wir gesammelt haben. Sie helfen den Frauen und ihren Familien. Aber nur für kurze Zeit. Die Situation muss sich grundlegend ändern. Die Menschen brauchen substantielle Unterstützung. Die Roma in der Ukraine, besonders in Transkarpatien, brauchen dringend humanitäre Hilfe, die auch tatsächlich bei ihnen ankommt, und nicht nur an die weißen Ukrainer:innen geht oder auf dem Schwarzmarkt verschwindet. Die Roma, die fliehen, brauchen die gleiche Unterstützung wie alle anderen Geflüchteten. Sie brauchen Arbeit, um sich und ihre Familien in der Ukraine zu ernähren. Bis das nicht passiert, sind sie weiterhin auf Untersützung durch Roma-NGOs und Unterstützer:innen angewiesen. Wir stehen weiterhin mit den Unterstützer:innen in Prag und Brno in Kontakt, um nach Möglichkeiten zu suchen, die Menschen nach Westeuropa zu bringen. Denn in Tschechien bleiben können sie nicht.

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Update zu Vasilinas Familie: Knapp zwei Wochen nach unserer Rückkehr aus Tschechien erfahren wir, dass die Familie spurlos verschwunden ist. Vielleicht ist sie aus Verzweifelung zurückgegangen in die Ukraine. Wie so viele Roma.

Update zur Recherchereise nach Polen: Nachdem die Romnja, die im Hostel in Krakau untergebracht waren, diese Unterkunft verloren haben, haben wir sie dabei unterstützt, nach Deutschland zu kommen.

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