Home » Artikel » Roma initiieren die Zerschlagung einer rechtsextremen Bewegung in Ungarn

Roma initiieren die Zerschlagung einer rechtsextremen Bewegung in Ungarn

Oszkár Lakatos von der Nationalen Roma-Selbstverwaltung (ORÖ) hat in einem bei der Staatsanwaltschaft eingereichten Antrag die Auflösung des „Ungarischen Selbstverteidigungs-Vereins“ angeregt. Der Verein betreibt die „Ungarische Selbstverteidigungs-Bewegung“, die sowohl in ihrem Auftreten als auch in ihren Aktivitäten als eine Nachfolgeorganisation der Ungarischen Garde angesehen werden kann, die durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil aufgelöst wurde.

Die sogenannte Selbstverteidigungs-Bewegung ist eine militaristisch auftretende rechtsextreme Gruppierung, die die rechtsextreme Partei Mi Hazánk Mozgalom (Unsere Heimat-Bewegung) unterstützt.  In seinem Antrag schreibt Lakatos, dass sie Aktivitäten durchführt und Verhaltensweisen an den Tag legt, die das Recht von Roma auf gleiche Menschenwürde verletzen.

Sowohl diese paramilitärische Vereinigung als auch die von ihr unterstützte Heimat-Partei richten ihre Tätigkeiten und Propaganda insbesondere gegen die Roma-Community, die sie in einer Täter-Opfer-Umkehr als Bedrohung für das ungarische Volk inszenieren, vor der sie ihr Volk schützen müssten.

Am 29. August 2023 haben sich in der ungarischen Hauptstadt Budapest Hunderte Personen zur Kundegebung der Partei zusammengefunden. Die Reden der Sprecher:innen richteten sich wie üblich vor allem gegen Roma. Sie wiederholen dabei immer wieder ihre Hetze von der „Z*****-Kriminalität“ und zeichnen ein imaginiertes Bedrohungs-Szenario, das von Roma ausgehe. Die rechtsextreme Partei will den 29. August als „Gedenktag für die Opfer von Z-Kriminalität“ erklären.

Kurz zuvor hatte eine Gegendemo von Roma und anderen Aktivist:innen vor dem Innenministerium stattgefunden, weil die Kundgebung von Mi Hazánk nicht verboten worden war.

Mi Hazánk wurde 2018 von den ehemaligen Jobbik-Abgeordneten László Toroczkai und Dóra Duró gegründet, als die rechtsextreme Partei versuchte, sich ein weniger radikales Image zu geben und Toroczkai aus der Partei ausschloss. „Unsere Heimat“ wollte jedoch den alten Werten von Jobbik (Rechtsextremismus/ Faschismus, Rassismus insbesondere gegen Roma und Migrant:innen, Antisemitismus, Homophobie etc.) treu bleiben. Mi Hazánk ist im Parlament vertreten und steht in politischer Opposition zu der rechtspopulistischen Partei Fidesz des Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Das heißt jedoch nicht, dass Fidesz weniger problematisch ist. Doch dazu später.

Der Rassismus gegen Roma ist Teil des „Manifests“ der Partei Mi Hazánk. Darin schreibt sie: “Es muss festgestellt werden, dass die Integration der Z****** als alte Einwanderer nicht erfolgreich war und ihr Babyboom den Staatshaushalt bedroht.” Als drastische Maßnahmen werden u.a. versprochen, “alle Aspekte der Z*****kriminalität zu bekämpfen und das Problem durch die Stärkung der Polizei und die Unterstützung freiwilliger Selbstverteidigungsvereine zu lösen … Die Begrenzung des Kinderkriegens zu reinen Subsistenzzwecken ist von zentraler Bedeutung für die Zukunft Ungarns.”

Diese Propaganda stellt Roma vor allem als „kriminell und asozial“ dar – ein Narrativ, das Mi Hazánk von Jobbik übernommen hat (und das in den 2000er Jahren wesentlich zu Jobbiks Wahlerfolgen beigetragen hat) und das vor allem als Begründung für den rassistisch motivierten Völkermord an den Sinti und Roma Europas durch die Nazis und ihre Verbündeten (darunter auch in Ungarn) genutzt wurde. Angesichts der historischen Herkunft dieser Propaganda muss klar sein, dass sie eine massive Gefahr für die Sicherheit von Roma in Ungarn heute darstellt. Das Narrativ rund um das Thema Sicherheit ist eine offene Drohung gegen Roma und ist nichts Neues.

Um dem von den rechtsextremen Parteien gezeichnete Bedrohungsszenario zu begegnen, werden immer wieder paramilitärische Gruppierungen gegründet, um der (weißen) Bevölkerung „Sicherheit“ zu suggerieren. Und wenn sie verboten werden, wird die nächste gegründet. Massenkundgebungen gegen Roma unter dem Aspekt der „Sicherheit“ bzw. der „Kriminalitätsbekämpfung“ sind in Ungarn seit mehr als 15 Jahren ein wesentlicher Teil der extremen Rechten. Es gab zahlreiche Übergriffe, Brandanschlägen und Morde an Roma.

Die „Selbstverteidigungs-Bewegung“ ist nicht die erste oder einzige paramilitärisch auftretende Gruppierung im jüngeren Ungarn. Jobbik hatte mit der Ungarischen Garde (Magyar Gárda Mozgalom) eine Miliz, die verboten wurden, unter anderem weil sie Roma terrorisierte. Nach ihrem Verbot wurde die „Neue Ungarische Garde“ gegründet. Immer wieder organisieren diese Gruppierungen Aufmärsche. 2011 wurden 300 Roma aus Gyöngyöspata evakuiert, nachdem die Roma-Community das Rote Kreuz eingeschaltet hatte, weil sie in ihrem Dorf monatelang von bewaffnete Paramilitärs terrorisiert worden waren, ohne dass die Polizei eingeschritten wäre.

Viele erinnern sich sicherlich noch an die Serie von Anschlägen auf Roma in den Jahren 2008 und 2009, vor allem an den Mord an dem fünfjährigen Róbika und seinem Vater Róbert Csorba (Róbikas siebenjährige Schwester Bianka überlebte mit Schussverletzungen). Bei einem anderen Anschlag wurde Mária Balog von Männern, die in ihr Haus eingedrungen waren, im Schlaf erschossen und ihre 13-jährige Tochter Ketrin schwer verwundet. Insgesamt wurden bei dieser Serie von Anschlägen sechs Roma ermordet und mehr als 50 verletzt. Sie fanden in einer Zeit intensivster Propaganda gegen Roma statt. Kurz zuvor war die Ungarische Garde gegründet worden und Jobbik baute das Szenario der „Z-Kriminalität“ auf. Teil davon war, dass bei tatsächlich begangenen Straftaten immer wieder behauptet oder suggeriert wurde, bei den Tätern handele es sich um Roma, um so ein Szenario aufzubauen, das Roma als Gefahr für die (ungarisch) Nation darstellte.

Im Fall der Familie Balog war den Tätern die Ungarische Garde sogar zu unfähig und sie wollten „die Ordnung selbst wiederherstellen“.

Das Problem liegt jedoch nicht nur an diesen Gruppierungen. Im Fall der Familie Csorba war auch die Polizei auf dem rechten Auge blind. Obwohl die Täter das Haus der Familie mit Molotowcocktails in Brand gesteckt und auf die aus dem brennenden Haus fliehende Familie geschossen hatten, wurde behauptet, der Brand sei durch einen Kurzschluss verursacht worden. Erst durch das Einschreiten einer EU-Abgeordneten aus der Roma-Community wurde das Verbrechen als Mord eingestuft.

Seit 2010 wird Ungarn von Ministerpräsident Viktor Orbán und dessen Partei Fidesz regiert. Sie steht den Oppositionsparteien in Sachen Hetze gegen Roma in nichts nach, und die massive Entdemokratisierung des Landes hat unter dieser Regierung stattgefunden bzw. findet weiterhin statt.

Vor gut einem Jahr hat das Europäische Parlament konstatiert, dass Ungarn keine vollwertige Demokratie mehr sei und gibt der EU eine Mitverantwortung beim „Zerfall der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn“. Es werden 12 Punkte aufgezählt, die zu dieser Einschätzung geführt haben, weil Ungarn gegen die Werte der EU verstoße. Dazu gehören „das Recht auf Gleichbehandlung“ und „die Rechte von Personen, die einer Minderheit angehören, einschließlich Roma und Juden“.

Unter Orbán hat der Staat versagt, Roma vor den rechtsextremen Gangs zu schützen. Aber auch von Orbán selbst und anderen Personen seiner Partei kommt immer wieder Hass und Hetze gegen Roma.

Der Journalist und Fidesz-Mitbegründer Zsolt Bayer hat einige der widerlichsten rassistischen Aussagen über Roma in die Medien gespuckt, die man seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelesen hat. In 2013 schrieb er unter dem Titel „Wer sollte nicht sein?“: „Ein erheblicher Teil der Z*population ist ungeeignet für eine Koexistenz. Er ist nicht geeignet für ein Leben unter Menschen. Diese Z* sind Tiere und benehmen sich wie Tiere. Sie wollen mit jedem anbandeln, den sie sehen, wann und wo immer sie ihn sehen. Wenn sie auf Widerstand stoßen, töten sie. Sie entledigen sich ihrer Notdurft, wann und wo immer es ihnen beliebt. Wenn sie das Gefühl haben, daran gehindert zu werden, töten sie. Sie wollen, was sie sehen. Wenn sie es nicht sofort bekommen, nehmen sie es weg und töten. Diese Z* sind zu keiner Art von Kommunikation fähig, die man als menschlich bezeichnen könnte. Meistens dringen unartikulierte Laute aus ihren tierischen Schädeln, und das einzige, was sie in dieser elenden Welt verstehen, ist Gewalt.“

Drei Jahre später zeichnete Orbán ihn mit einem Ungarischen Verdienstorden aus.

Ebenfalls im Jahr 2016 hat die Europäische Kommission ein Verfahren gegen Ungarn eröffnet, weil das Land die Rechte von Roma-Kindern durch segregierte Beschulung systematisch verletze. Statt jedoch Maßnahmen für die Verbesserung der menschenrechtlichen Situation einzuleiten, wird immer wieder Rassismus geschürt und Roma zu Sündenböcken gemacht. Nachdem der Oberste Gerichtshof Ungarns in 2019 ein früheres Urteil bestätigte, wonach der ungarische Staat eine Entschädigung an Roma-Kinder aus Gyöngyöspata für die schulische Segregation zahlen sollte, pöbelte Orbán, die örtlichen Roma seien arbeitsscheu, ihre Kinder gewalttätig, widerspenstig und unerziehbar und bei der schulischen Situation in Gyöngyöspata handele es sich nicht um Segregation, sondern aufholende Bildung. Seiner Meinung nach verstoße das Urteil “gegen das Rechtsempfinden der Bevölkerung” und sagte: „Dies ist ein Land der Einheimischen, schließlich ist es unser Land.” Roma spricht er damit ab, zu diesem Land zu gehören, obwohl sie dort seit mehr als einem halben Jahrtausend einheimisch sind.

Gyöngyöspata war im übrigen der Ort, aus dem am Karfreitag des Jahres 2011 die Roma-Community vom Roten Kreuz evakuiert werden musste, weil rechtsextreme paramilitärische Gruppierungen sie terrorisierte. Viktor Orbán bezeichnete die Rettungsaktion als „Osterferien“.

Siehe auch:

ERRC: Hungary. A Timeline of Terror, Killings, and Collective Punishment, S. 17.21

BulgarianCroatianEnglishFrenchGermanItalianPortugueseRussianSerbianSpanishTurkish