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Slowakei wegen Diskriminierung von Roma-Kindern vor Gericht

Segregation im Bildungsbereich gehört zu den schwerwiegendsten Formen struktureller und institutioneller Diskriminierung gegen Roma in Europa. In Ländern wie Deutschland findet die Segregation subtiler statt, indem Roma-Kinder zum Beispiel überproportional in sogenannten Förderschulen beschult werden, eine Schulform, die zurecht in der Kritik von Menschenrechtler:innen und Wissenschaftler:innen steht. Die beruflichen und generellen Zukunftsperspektiven von Förderschüler:innen sind sehr stark eingeschränkt, von Förderung, die diesen Kindern gleiche Chancen mit anderen Kindern gewähren würde, kann keine Rede sein. Ein adäquates Recht auf gleichwertige Bildung ist nicht gegeben.

In anderen Ländern gibt es ein noch drastischeres System der Segregation, in dem Roma-Kinder entweder in separaten Klassen oder Schulen unterrichtet werden (manche sprechen von Apartheid). Der Unterricht ist dabei nicht gleichwertig mit dem allgemeinen Unterricht. In vielen Ländern Südost- und Osteuropas steht diese Form der Diskriminierung gegen Roma seit langem in der Kritik von Menschenrechtsorganisationen und EU-Institutionen, regelmäßig werden entsprechende Fälle vor Gerichten verhandelt. Wir haben kürzlich über Fälle aus Mazedonien, Albanien und Ungarn berichtet, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wurden, der jeweils zugunsten der klagenden Schüler:innen und ihrer Eltern entschied.

Die Slowakei ist das Land in der Europäischen Union, in dem es das höchste Maß an Schulsegregation gibt. Dort besuchten einer Erhebung der EU von 2021 zufolge 65% der Roma-Kinder eine segregierte Schule. Damit ist das Land Spitzenreiter der EU, dicht gefolgt von Bulgarien, in dem 64% der Roma-Kinder eine segregierte Schule besuchen. In beiden Ländern hat der Anteil von Roma-Kindern in segregierten Schulen seit der letzten Erhebung (2016) zugenommen.

Im Jahr 2015 hatte die EU-Kommission ein Verfahren gegen die Slowakei wegen Verletzung des EU-Rechts bezüglich Diskriminierung im Bildungsbereich eingeleitet. Der Staat hatte daraufhin Reformen angestoßen, die jedoch offensichtlich zu keiner nennenswerten Besserung führten. Im Gegenteil. Amnesty International und das European Roma Rights Centre (ERRC) haben 2017 in einem Report das systematische Versagen des slowakischen Staates, Roma-Kinder gleichwertig zu beschulen, kritisiert.

In der Slowakei gibt es neben der direkten Segregation auch die indirekte Version wie sie in Deutschland herrscht: Roma-Kinder werden häufig als „leicht geistig behindert“ eingestuft (in Deutschland wird euphemistisch ein „Förderbedarf“ festgestellt) und in Sonderschulen (deutsch: „Förderschulen“) geschickt, in dem sie qualitativ minderwertige Bildung erhalten. Zumindest der Ombudsmann in der Tschechischen Republik hatte die Testmethoden, durch die entsprechende Einstufungen erfolgen, öffentlich in Frage gestellt. (Der Förderbedarf hat häufig wenig mit der intellektuellen Befähigung eines Kindes zu tun, sondern vielmehr mit dessen sozialer Benachteiligung etc.)

Auch das UN Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) ist in seinem Report von 2022 zur Slowakei „weiterhin besorgt über die anhaltende, weit verbreitete und systematische Diskriminierung und Segregation, von denen Roma-Kinder im Bildungssystem betroffen sind.“ Laut dem Ausschuss hat die Corona-Pandemie die Situation zusätzlich verschärft, denn es folgten Schulschließungen und digitales Lernen, an dem „eine große Zahl von Roma-Kindern nicht teilnehmen konnte“, da es in ihren Siedlungen keinen Zugang zum Internet gibt. Der UN-Ausschuss forderte den slowakischen Staat entsprechend auf, Maßnahmen zum Abbau der Diskriminierung und Inklusion der Roma-Kinder in das allgemeine Schulsystem zu ergreifen.

Die Schulsegregation ist vor allem daher so schlimm, da sie mit nicht-gleichwertiger Bildung einhergeht. Aber auch die jungen Roma, die eine weiterführende Schule besuchen, erhalten keine gleichwertige Bildung. In dem oben genannten Bericht stellten Amnesty International und das ERRC fest, „dass viele Roma, denen es gelang, einen Platz in einer Berufsausbildung zu bekommen, anstatt eine qualifizierte oder handwerkliche Ausbildung zu absolvieren, lediglich als Sklavenarbeiter eingesetzt wurden. Jungen, die eine private weiterführende Berufsschule besuchten, die von einer nahe gelegenen Produktionsfirma betrieben wurde, berichteten den Forschern, dass sie die meiste Zeit damit verbrachten, elektrische Stecker zusammenzubauen, die die Firma dann verkaufte. Mädchen an derselben Schule erhielten “Praktische Frauen”-Unterricht (Praktická Žena), der Teil eines landesweiten Programms war, in dem Roma-Mädchen durch Unterricht in Kochen und Hausarbeit zu “guten Hausfrauen” ausgebildet wurden.“ Romnja werden also noch zusätzlich aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert.

Mittlerweile ist das Vorgehen der EU gegen die Slowakei wegen der Diskriminierung von Roma-Kindern im Bildungssystem vorangeschritten: Im April 2023 hat nun die Europäische Kommission zum ersten Mal einen Mitgliedsstaat wegen Verstoßes gegen die Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Das ERRC, das bereits zahlreiche Prozesse wegen Schulsegregation und anderen Formen der Diskriminierung geführt hat, begrüßt den Schritt zwar, kritisiert aber auch, dass die EU fast neun Jahre für diesen Schritt gebraucht hat, ein Zeitraum, in dem „einer ganzen Generation von Roma-Kindern eine hochwertige, integrierte Bildung verwehrt wurde.“

Wenn der Europäische Gerichtshof zu dem Ergebnis kommt, dass die Slowakei gegen die Richtlinie zur Gleichbehandlung verstoße, muss das Land zunächst Maßnahmen ergreifen, um die Einhaltung der Richtlinie zu gewährleisten. Wenn die Slowakei das nicht tut, kann das Land in einem zweiten Schritt zu Strafzahlungen verurteilt werden, bis die Richtlinie erfüllt wird.

Das bedeutet, dass noch sehr viel Zeit ins Land gehen wird, bis das Recht von Roma-Kindern auf gleichwertige Bildung endlich durchgesetzt wird. Denn es hängt auch mit weiteren Formen von Diskriminierung und der daraus resultierenden sozialen Situation von Roma zusammen, und die ist in der Slowakei so schlecht wie in kaum einem anderen EU-Land – vom Leben in segregierten Siedlungen, die des öfteren keinen Zugang zu Trinkwasser haben, über alltägliche Diskriminierung und Hate Speech bis hin zu zahlreichen Fällen von Polizeigewalt und institutioneller Diskriminierung.

Besonders erhellend sind dazu die Untersuchungen des ERRC:

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