
Roma unerwünscht. Eine kurze Geschichte der Flucht und Migrationsabwehr von 1990 bis heute
Die Migrationsabwehr gegen Roma aus Ost- und Südosteuropa hat seit mehr als 30 Jahren Tradition in Deutschland. Sie ist verbunden mit politischer Propaganda, medialer Hetze, Asylrechtsverschärfungen und Stereotype über – oder besser gesagt: gegen – Roma. Die Umwandlung der sozialistischen in marktwirtschaftlich orientierte Staaten brachte viele Verlierer hervor. Die politischen und ökonomischen Umstrukturierungsprozesse in diesen Ländern führten dabei zu einem Aufschwung regressiver Ideologien wie dem Nationalismus. Der vormals unterschwellige Rassismus in Gesellschaften, in denen formal alle gleich waren, brach sich Bahn. Bei zunehmender Arbeitslosigkeit waren Roma die ersten, die ihre Arbeit verloren. Der Zerfall Jugoslawiens mündete in mehrere Kriege, bei denen Roma zwischen die Fronten der aufgeheizten Nationalismen gerieten. Nach dem Ende des letzten Krieges 1999, dem Kosovokrieg, wurden fast alle Roma – 150.000 Menschen – aus der Region Kosovo, in der sie seit mehr als 600 Jahren gelebt hatten, von Albaner:innen vertrieben. Es handelte sich dabei nicht nur um Kosovo-Albaner:innen, sondern auch um Albaner:innen aus Albanien, die in den Kosovo migrierten und die Häuser der vertriebenen Roma besetzten. Ein großer Teil der Häuser in den Roma-Siedlungen wurde geplündert und abgebrannt. Bis heute erhalten die Roma ihren Besitz, vor allem Häuser und Grundstücke, nicht zurück und kämpfen um die Anerkennung der an ihnen begangenen Verbrechen. Die kosovarische Roma-Diaspora lebt heute verstreut in angrenzenden Ländern, in Westeuropa, den USA oder Kanada.



(K)eine Anerkennung des Völkermords an den Roma Europas
Seit Ende der 1980er Jahre flohen viele Roma aus den Staaten Südost- und Osteuropas Richtung „Westen“, darunter Deutschland. In den Jahren und Jahrzehnten zuvor waren bereits zahlreiche Roma als jugoslawische Gastarbeiter:innen nach Deutschland gekommen und hatten geholfen, dieses Land nach dem von ihm ausgegangen Weltkrieg wieder aufzubauen. Man möchte meinen, dass Deutschland, das sich seines verantwortungsvollen Umgangs mit seiner Geschichte rühmt, die Überlebenden und Nachkommen des an den Roma Europas begangenen Völkermords nun mit eben dieser Verantwortung aufgenommen hätte. Dem war aber nicht so.
Der rassistisch motivierte Genozid an den Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus war nach Jahrzehnte langen Kämpfen der Überlebenden erst wenige Jahre zuvor, nämlich 1982, durch die Bundesregierung unter Helmut Schmidt offiziell anerkannt worden. Dass sich dieser Völkermord über ganz Europa zog – darunter nicht zuletzt auch Jugoslawien – und nicht nur „Deutschland“ betraf, vergaß man dabei sicherlich nicht zufällig, und genau dieser Punkt stellt bis heute ein bedeutendes Problem dar. Vor allem wurde so umgangen, den Roma Europas und damit auch den nach Deutschland flüchtenden Roma einen sicheren Status zu geben. Nur so konnte passieren, was dann in den 1990er Jahren folgen sollte und bis heute folgt: Roma flüchteten vor Kriegen und wurden aus ihrer Heimat vertrieben, und Deutschland gewährt(e) ihnen keinen Schutz, sondern delegitimiert bis heute ihre Fluchtursachen, begegnet ihnen mit Diskriminierung und Abwehr ihrer Flucht und Migration.
Die 1990er: Pogrome, Anschläge, Kriege
Die Roma Europas waren (und sind) in Deutschland nicht willkommen. Sie wurden mit Hetze, Hass und Anschlägen begrüßt, als sie aus Jugoslawien und Rumänien hierher flohen. Der Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 gehört zu den bekanntesten Ausschreitungen gegen „Ausländer“ in der wiedervereinigten BRD. Heute kaum mehr bekannt ist, dass er sich gegen zwei zentrale Gruppen richtete: ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter:innen in der DDR und Roma, die aus Rumänien geflüchtet waren. Der Hass des Mobs entlud sich gegen diese Menschen. Statt dass die Politik Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus ergriffen hätte, hat sie das Problem mit Verschärfungen des Asylrechts „gelöst“. Wenige Wochen nach dem Pogrom in Lichtenhagen wurde ein Rückkehrabkommen mit Rumänien geschlossen, damit man die Roma von dort schneller loswerden konnte, und im Jahr darauf wurde der sogenannte Asylkompromiss geschlossen, der das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl massiv einschränkte. Im Winter 2023/24 stehen wir vor der Wiederholung dieser historischen Schande.



In jener Zeit – wir befinden uns mitten im Bosnienkrieg – wurden auch Abschiebungen nach Jugoslawien durchgeführt. Es war nie gewünscht, dass sich die geflüchteten Roma aus diesen Ländern in Deutschland „integrieren“. Auch wenn sie aus Kriegsgebieten wie Jugoslawien flüchteten, wurde ihnen in der Regel kein Schutz gewährt. Vielen wurde davon abgeraten, einen Asylantrag zu stellen. Das führte dazu, dass sie nur geduldet wurden. Eine Duldung bedeutete: Arbeitsverbot, keine Sprach- und Integrationskurse, Lebensmittelgutscheine statt Geld, Residenzpflicht. Manche lebten in dieser Situation, in der „Integration“ wie der Staat sie versteht und die vor allem aus Arbeit besteht, gar nicht möglich war.
Eine Protestbewegung formiert sich
Der Widerstand gegen diese Zumutungen begann sich Ende der 1980er Jahre zu formieren. Im August 1989 besetzten mehrere Hundert Roma, darunter viele Kinder, die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme in Hamburg, um gegen die geplante Abschiebung von etwa 1000 Roma zu protestieren. Es folgte die wahrscheinlich längste Protestaktion, die Deutschland jemals gesehen hatte: Über mehrere Jahre organisierten Roma immer wieder sogenannte Bettelmärsche, bei denen sie zu Fuß von Hamburg über NRW bis nach Bayern zogen. Besonderes Aufsehen machten etwa die Besetzung des Kölner Doms im Januar 1990, auf die ein langer Protestmarsch von etwa 1500 Menschen durch NRW folgte, und die Blockade des Grenzübergangs zu Holland und die anschließende Besetzung des niederländischen Konsulats in Hamburg im Sommer 1990 sowie die Blockade des Grenzübergangs zur Schweiz.


Als Deutschland das Rücknahmeabkommen mit Rumänien nach dem Pogrom in Lichtenhagen schloss, protestierten Roma zusammen mit der Vereinigung der Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich, der Organisation von Serge und Beate Klarsfeld, gegen die Abschiebung von Roma nach Rumänien. Es folgten weitere Proteste. Die vorerst letzten großen Aktionen begannen am 16. Mai 1993. An jenem Tag im Jahr 1940 begannen in Deutschland die Deportationen von Roma und Sinti in die Konzentrationslager. Nun, 53 Jahre später, wollten Roma in der Gedenkstätte Neuengamme protestieren, wurden aber nicht auf das Gelände gelassen. Sie protestierten wochenlang vor dem ehemaligen KZ. In Dachau besetzten ebenfalls am 16. Mai 1993 Roma die Gedenkstätte Dachau. Dort wurden sie von Nazis angegriffen und von Unterstützer:innen in Sicherheit gebracht. Die Protestbewegung verebbte in den folgenden Monaten weitgehend.

Während der gesamten 1990er und frühen 2000er Jahre fanden weiterhin Abschiebungen statt. Viele Abgeschobene kamen wieder, denn das Land, aus dem sie geflohen waren, befand sich weiterhin im Krieg und dann existierte es nicht mehr. Das brachte zahlreiche Probleme mit sich. So haben manche Roma bis heute keine Papiere eines der Nachfolgestaaten Jugoslawiens und sind de facto staatenlos, was jedoch seitens der deutschen Behörden nicht anerkannt wird. Insbesondere bei den Nachgeborenen, das heißt bei den Kindern (und mittlerweile auch Enkelkindern) der geflüchteten Roma ist die Passlosigkeit ein zentraler Grund, warum diese Menschen keinen regulären Aufenthalt bekommen.
Vor diesem Hintergrund ist 2006 das Roma Center entstanden, um Roma zu unterstützen, für das Bleiberecht zu kämpfen und die Bevölkerung über die Situation von Roma aufzuklären. 2009 startete das Roma Center die bundesweite Initiative alle bleiben! und führte spektakuläre Aktionen wie die Besetzung des Hamburger Michels und des Regensburger Doms durch. Eine geplante Pressekonferenz am Mahnmal für die im NS ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin, bei der akut von Abschiebung bedrohte jugoslawische Roma die Öffentlichkeit über ihre Lage informieren und ihr Bleiberecht einfordern wollten, stieß auf massive Gegenwehr der für das Mahnmal zuständigen Stiftung, die die Polizei verständigte. So kam es, dass diese Menschen, einschließlich kleiner Kinder, nachts gewaltsam von deutschen Uniformierten geräumt wurden. Die Aktion knüpfte, wie die Besetzungen von Kirchen und Kathedralen an die Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung und der Bleiberechtsbewegung der Roma in den frühen 1990er Jahren an. Statt Solidarität und Bleiberecht erntete die Aktion jedoch vor allem Kritik. Die meisten Beteiligten wurden abgeschoben.





Desintegration und Sammelabschiebungen – die 2000er Jahre
Nachdem manche der geflüchteten Roma mehr als ein Jahrzehnt in Deutschland desintegriert worden waren, wurde gegen Ende der Nullerjahre von ihnen verlangt, sich zu „integrieren“. Das heißt, wer nicht arbeitet und dabei seinen Lebensunterhalt sichert, dem droht die Abschiebung. Da die Menschen so viele Jahre gar nicht arbeiten durften und sich weiterqualifizieren konnten und sich in der Regel in „Duldung“ befinden, finden sie nur schwer Arbeit. Die meisten arbeiten in prekären, sehr schlecht bezahlten Jobs und brauchen mehrere Stellen, um den geforderten Lebensunterhalt zu sichern. Viele der Geflüchteten sind schwer traumatisiert durch Krieg, Verfolgung, langjährige Diskriminierung und gesellschaftliche Marginalisierung und haben nie angemessene Unterstützung bekommen. In regulären Aufenthalt zu kommen, ist für sie, die oft nicht arbeitsfähig sind, nur sehr schwer möglich, denn auch die Anforderungen an einen humanitären Aufenthalt aus gesundheitlichen Gründen sind äußerst hoch. Erkrankungen werden oft nicht anerkannt, weil die Atteste den bürokratischen Anforderungen nicht genügen oder Traumatisierungen nicht geglaubt werden, weil Angehörige der Mehrheitsbevölkerung dolmetschen – das ist insbesondere bei kosovarischen Roma ein großes Problem, da für sie oft Kosovo-Albaner:innen gedolmetscht haben.
Sammelabschiebungen wurden und werden regelmäßig durchgeführt. Viele Roma kamen und kommen nach Ablauf der Einreisesperre, die meist für mehrere Jahre gilt, jedoch wieder, denn sie haben keinen Ort mehr, wo sie leben könnten. Die abgeschobenen Roma erleben ein großes Maß an gesellschaftlicher Marginalisierung und Diskriminierung. Viele können sich in ihren (vermeintlichen) Herkunftsländern nicht registrieren. Mit allen negativen Folgen. Sie können nicht legal arbeiten, haben keine Krankenversicherung, bekommen keine soziale Unterstützung. Viele leben an den Rändern der Städte in informellen Siedlungen, häufig ohne Strom und fließend Wasser. Kinder können nicht zur Schule gehen – aus bürokratischen Gründen ist es nicht möglich, sie einzuschulen, sie können sich die Schulmaterialen, Schuhe und angemessene Kleidung nicht leisten oder ihre Eltern lassen sie nicht zur Schule gehen, um ihnen Misshandlungen, Rassismus und Ausgrenzung zu ersparen.



Der nächste Schlag gegen die Migration von Roma folgte 2014/15: Trotz besseren Wissens und gegen die Empfehlungen zahlreicher Verbände und Menschenrechtsorganisationen, darunter amnesty international, wurden Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien, Albanien, Kosovo und Montenegro zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Nicht zufällig fand dies im Zeitraum des Syrienkrieges und der Zuflucht vieler Menschen aus dieser Region nach Europa statt. Die Aufspaltung in „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete erlebte ein Revival. Das Märchen von den Roma als „Wirtschaftsflüchtlingen“ wurde wieder und wieder erzählt. Die menschenrechtliche Situation in ihren „Herkunftsländern“ ignoriert. Dass die meisten von ihnen einst vor den Kriegen in Jugoslawien geflohen waren, ist längst vergessen.
Im Zeitraum der Debatten um die Einstufung und nach der Einstufung hat das Roma Center mehrere Recherchereisen in diese Länder unternommen, um die reale Situation der Roma vor Ort zu dokumentieren. Berichte darüber sind auf unseren Webseiten vor allem auf allebleiben.info zu finden und die entstandenen Dossiers zu Serbien, Kosovo und Mazedonien sind digital und als Broschüre erhältlich. Die filmische Dokumentation der Reisen ist in unseren Dokufilm The Awakening eingeflossen.

Das Konzept der ,sicheren Herkunftsstaaten’ und seine Folgen
Die Einstufung dieser Länder als „sicher“ war und bleibt folgenschwer, denn gilt ein Land erstmal als sicher, wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass dort keine Verfolgung droht und erlebe eine Person in diesem Land doch einmal Verfolgung, dann würde der Staat sie schützen. Die Realität sieht jedoch gänzlich anders aus. In den meisten Ländern Ost- und Südosteuropas (auch diejenigen, die mittlerweile Mitgliedsstaaten der EU sind) gibt es gravierende institutionelle, strukturelle und alltägliche Diskriminierung gegen Roma. Es kommt vielfach zu Fällen rassistisch motivierter Gewalt. Gleichzeitig gibt es kaum bis keinen Schutz durch staatliche Institutionen wie der Polizei. Polizeigewalt und Fälle von Opfer-Täter-Umkehr (d.h. wenn Roma Opfer einer Straftat werden, werden sie nicht selten als Täter behandelt) sind gängig.

Roma-Familie aus Mazedonien erlebt sexualisierte Gewalt und Bedrohungen durch Rassisten. Erhält keinen staatlichen Schutz. Täter brennen ihr Haus nieder. Familie erhält keinen staatlichen Schutz.
Asylantrag abgelehnt. Klage verloren.
Das Konzept der „Sicheren Herkunftsstaaten“ hebelt faktisch das individuelle Recht auf Asyl aus, denn die individuellen Asylgründe finden keine Berücksichtigung mehr, auch wenn die Apologet:innen des Konzepts das Gegenteil behaupten. Die positiven Asylbescheide dümpeln im niedrigen einstelligen Bereich herum, das heißt: Fast alle Asylanträge werden abgelehnt. Wir haben diverse Familien unterstützt, die rassistisch motivierte Gewalt in den „sicheren Herkunftsstaaten“ erlebt und keinen staatlichen Schutz erhalten haben. Ihre Asylanträge wurden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, Klagen dagegen waren nicht erfolgreich. Manche Familie wurde abgeschoben und muss sich seitdem aus Angst vor den Tätern verstecken.

Im Teufelskreis von Flucht und Abschiebung
Für viele Roma ist es keineswegs der erste Asylantrag. Manche sind bereits mehrfach abgeschoben worden oder sind „freiwillig“ ausgereist, um die langen Einreisesperren und Kosten für die Abschiebung zu umgehen. Sie befinden sich in einer Situation der unfreiwilligen Dauermigration. In vielen Fällen handelt es sich gar um Menschen, die in Deutschland geboren wurden oder aufgewachsen sind – junge Menschen, die es nicht geschafft haben, aus der Duldung heraus zu kommen (die Gründe dafür sind meistens scheinbar banal: sie haben es nicht geschafft, einen Pass ihres vermeintlichen Herkunftslandes zu erhalten, und/ oder sie haben noch keinen Schulabschluss absolviert). Auch sie werden wieder Arbeitsverboten unterworfen, wenn sie zurück nach Deutschland kommen und einen Asylantrag stellen. Vielfach müssen sie in Massenunterkünften, abgeschottet vom Rest der Bevölkerung, leben und auf ihre Abschiebung warten oder ein weiteres Mal „freiwillig“ ausreisen.

Unten: Wohnung einer Roma-Familie nach Abschiebeversuch des 18jährigen in Göttingen geborenen Sohnes. Grund: Er hatte es noch nicht geschafft, einen Schulabschluss zu machen und so einen Aufenthalt zu bekommen.
Oben: Protest dagegen.
Der Junge musste untertauchen. Nachdem er seinen Schulabschluss nachgeholt hatte, erhielt er einen Aufenthalt.
Ein Teil der Roma, die vor den Kriegen in Jugoslawien geflohen sind oder nach dem Kosovokrieg vertrieben wurden, leben seit Jahrzehnten (oder seit vielen Jahren nach einer Abschiebung wieder) geduldet in Deutschland – und damit in einer Situation der permanenten Unsicherheit. Seit vielen Jahren weist das Roma Center auf dieses Problem und die schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen hin. Auch die Unabhängige Kommission Antiziganismus, zu deren zentraler Studie über Rassismuserfahrungen (Randjelović et al.)wir viel Material eingebracht haben, hat das Thema aufgegriffen und in einer ihrer wesentlichen Empfehlungen einen sofortigen Abschiebestopp und ein Bleiberecht für Roma aus humanitären und historischen Gründen gefordert (sowie auch die Abschaffung des Konzepts der „sicheren Herkunftsstaaten“). Sowohl die Empfehlungen der UKA als auch die Forderungen des Roma Centers stießen immer wieder auf die Ablehnung der Politik.

- Anita musste dreimal kurz vor ihrem Schulabschluss untertauchen, weil der Familie Abschiebung drohte. Es folgten immer wieder Phasen der Illegalisierung, Familientrennung, abgelehnter Asylanträge und Leben in Geflüchtetenunterkünften. Anita wurde in Göttingen geboren. Das deutsche Staatsbürgerschafts- und Aufenthaltsrecht verwehrt jungen Menschen wie ihr eine Chance auf Zukunft.
Aktuelle Entwicklungen
Die Ampelkoalition hat in 2023 den sogenannten Chancenaufenthalt (§104c Aufenthaltsgesetz) für langjährig Geduldete eingeführt. Wer den Aufenthalt nach §104c beantragt (und erhält), hat 18 Monate Zeit, um die Bedingungen für einen regulären befristeten Aufenthalt zu erfüllen. Wer das nicht schafft, wird nach diesen 18 Monaten wieder in die Duldung zurück fallen und dem droht wieder die Abschiebung. Aus unserer Sicht profitieren vom Chancenaufenthalt lediglich die Menschen, für die die Hürden zum regulären Aufenthalt relativ gering sind. Für Menschen, die aus gesundheitlichen oder Altersgründen nicht arbeitsfähig sind, für Alleinerziehende, für Behinderte, für Traumatisierte oder auch für Menschen in stark prekären Arbeitsverhältnissen, für Menschen ohne formale Bildung bzw. die keinen Zugang zu Bildung, Sprach- und Integrationskursen hatten, sind die Hürden meist zu hoch. Das bedeutet, dass gerade vulnerable Menschen weiterhin ausgeschlossen bleiben. Gleiches gilt für de facto Staatenlose, die auch weiterhin ihre sogenannte Passpflicht nicht werden erfüllen können.
Auch die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes wäre eine Möglichkeit gewesen, die Situation langjährig Geduldeter und vor allem ihrer in Deutschland geborenen Kinder zu verbessern. Bis auf geringfügige Verbesserungen (hier sind vor allem die Mehrstaatigkeit und kürzere Voraufenthaltsfristen zu nennen), bringt der Entwurf jedoch eher keine nennenswerte Fortschritte und für Menschen mit Behinderungen oder pflegende Angehörige gar Rückschritte. Obwohl zahlreiche Verbände, darunter der Bundes Roma Verband, dessen Mitbegründer das Roma Center ist, dazu aufgefordert worden waren, den Gesetzesentwurf zu kommentieren, wurden deren Empfehlungen nicht berücksichtigt. So setzt auch diese Gesetzesänderung vornehmlich auf die ökonomische Verwertbarkeit der Menschen und geht an der Lebensrealität vorbei und schließt weiterhin viele in Deutschland geborene oder langjährig hier lebende und arbeitende Menschen von der deutschen Staatsangehörigkeit aus.

Die im Koalitionsvertrag angedrohte „Rückführungsoffensive“ wird hingegen hart durchgezogen. Nicht zufällig geht die aktuelle Politik gegen Geflüchtete auch wieder mit Krieg, Massenflucht und einer erstarkten extremen Rechten in Deutschland einher. Ein weiteres Mal wird auf die Zunahmen von Rassismus und Rechtsextremismus mit der weiteren Entrechtung derjenigen reagiert, die sich am wenigsten wehren können, weil die demokratischen Parteien glauben oder hoffen, dass sie damit nicht noch mehr Stimmen an die AfD verlieren werden.
Mit Anwendung des §24 Aufenthaltsgesetz wurde es Geflüchteten mit ukrainischem Pass ermöglicht, ohne Asylantrag einen Aufenthalt in Deutschland zu erhalten. Während mehr als eine Million Ukrainer:innen in Deutschland aufgenommen wurde, hier arbeiten und in normalen Wohnungen leben darf, sollen alle anderen Geflüchteten möglichst gehen. Derzeit folgt Sammelabschiebung auf Sammelabschiebung. Ähnlich wie vor der Einstufung der „Westbalkanländer“ als „sicher“, erfolgen seit längerer Zeit regelmäßig Sammelabschiebungen nach Moldau, das dann im Dezember 2023 als „sicher“ eingestuft worden ist. Die meisten Menschen, die von dort fliehen, sind Roma.

Wir erleben aktuell die Wiederholung der Situation von 2014/15: Um die Abschiebungen zu „legitimieren“ und Asyl systematisch zu verweigern, hat die Bundesregierung das Land als „sicher“ eingestuft, obwohl es das nicht ist. Dies wird die Flucht von Roma weiter delegitimieren, indem ihre Fluchtursachen auf wirtschaftliche Ursachen zurechtgelogen werden wie wir es seit mehr als 30 Jahren in der BRD kennen. Die menschenrechtliche Lage der Roma in Moldawien spielt dabei keine Rolle. Gleichzeitig werden Visaliberalisierungen für erwünschte Moldawier:innen versprochen und das Land als Beitrittskandidat zur EU gehandelt. Das bedeutet, es wird auch in Moldau zu Hetzkampagnen gegen Roma kommen wie wir es aus den „Westbalkanländern“ kennen.
Ein weiterer Vorstoß der Bundesregierung gegen die Rechte von Geflüchteten ist die „Verbesserung der Rückführung“, also Abschiebungen weiter zu erleichtern. Der „Diskussionsentwurf“ des Bundesinnenministeriums machte deutlich, dass die Ampel-Regierung und Innenministerin Nancy Faeser nahtlos an den Kurs ihrer Vorgänger wie Horst Seehofer und Thomas de Maizière anknüpft und Flucht und Migration vor allem als etwas sieht, das möglichst verhindert werden soll. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wollte noch einen „Paradigmenwechsel“ und einen „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird“ – unter anderem durch eine Abschaffung der Arbeitsverbote, die auch für Asylsuchende aus den sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ gelten, sowie einer Beendigung illegaler Zurückweisungen an den Grenzen und des Leides an den EU-Außengrenzen. Nun werden aber vor allem jene Maßnahmen umgesetzt, die ein Mehr an Abschottung, Abschreckung und Abschiebung bedeuten, oder die allenfalls eine Migration derer ermöglichen, die ihre ökonomische Verwertbarkeit unter Beweis stellen können.
Das als Populismus zu betrachtende Vorgehen gegen „kriminelle Clans“ (auf deren Konto ganze 0,76 Prozent der Straftaten in Niedersachsen gehen), ist auch teil der „Rückführungsoffensive“: Künftig soll allein die mutmaßliche Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen. Das Konzept der „kriminellen Clans” und der ganze Diskurs darum ist enorm problematisch und rassistisch aufgeladen.
Die Unterstellung, bestimmte Personen seien aufgrund ihrer „Abstammung” oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe kriminell veranlagt, bedient sich aus der Mottenkiste einer wissenschaftlich diskreditierten Kriminalbiologie und knüpft in verhängnisvoller Weise an eine Tradition rassistisch motivierter Repression unter dem Deckmantel der Kriminalitätsbekämpfung an. Historisch gesehen waren Roma und Sinti wohl diejenigen, die am stärksten unter dieser Praxis litten. Sie erreichte in der Nazi-Zeit ihren Höhepunkt, wurde aber bereits davor etabliert und in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik fortgesetzt.
Die Pläne der Ampelkoalition stellen einen schweren Verstoß gegen elementare rechtsstaatliche Prinzipien dar. Denn anders als bei einer kriminellen Vereinigung aus Personen, die sich freiwillig zusammenschließen, wird man dem allgemeinen Verständnis nach in einen „Clan” hineingeboren. Mitglieder bestimmter Familien auszuweisen, ohne dass sie selbst Straftaten begangen haben, ist nichts anderes als Sippenhaftung und damit die Abkehr vom fundamentalen rechtsstaatlichen Grundsatz des Schuldprinzips, wonach die Strafbarkeit immer an ein persönliches, individuelles Verhalten einer Person anknüpft.
Bei dem „Konzept“ der Sippenhaftung werden Angehörige für die „Schuld“ oder Straftat eines Familienmitglieds zur Verantwortung gezogen, auch wenn sie mit der Straftat selbst nichts zu tun haben. In Deutschland war sie vor allem während des Nationalsozialismus verbreitet. Dort hat sie auch häufig die Form der Sippenhaft (also der Inhaftierung von Familienmitgliedern in Konzentrationslager) angenommen. Das Konzept der Sippenhaftung steht im Widerspruch zum Schuldprinzip, welches in Deutschland gilt und nur das Individuum für von ihm begangene Straftaten oder Fehlverhalten zur Verantwortung zieht. Im Kontext der „Clan-Kriminalität“ bedeutet das konkret, dass Personen, die einem „Clan“ zugeordnet werden (weil sie z.B. einen bestimmten Familiennamen haben) negative aufenthaltsrechtliche Konsequenzen zu befürchten haben.
Bereits im Referentenentwurf zur Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts war vorgesehen, dass direkte Angehörige von Personen (auch nicht strafmündigen Minderjährigen), die eine Straftat begangen haben, keinen Aufenthalt nach §104c bekommen sollten. Nach verfassungsrechtlicher Kritik wurde dieser Punkt wieder gestrichen.
Weitere Verschlechterungen für Menschen ohne sicheren Aufenthalt sind geplant: Bislang muss eine Abschiebung bei Personen, die mehr als ein Jahr lang geduldet wurden, grundsätzlich vorher noch einmal angekündigt werden. Auch wenn diese gesetzliche Vorgaben in einigen Fällen mit rechtlich fragwürdigen Mitteln umgangen wurden, ist die Abschaffung dieser Regelung ein Rückschritt und ein weiterer Beweis dafür, dass die politisch Verantwortlichen Abschiebungen auch dann favorisieren, wenn Bleiberechtsoptionen existieren.
Beim Thema Abschiebungen scheut man auch nicht davor zurück, mit fragwürdigen Partnern zu kooperieren. So lässt die Landesregierung von Baden-Württemberg seit Jahren Sammelabschiebungen in die Westbalkanstaaten von einer Fluggesellschaft durchführen, die sich im Besitz eines Konsortiums aus dem Bereich der organisierten Kriminalität in Bulgarien befindet. Solche Beispiele entlarven die im Zusammenhang mit Abschiebungen beliebten Beschwörungen von Rechtsstaatlichkeit als reine Heuchelei.
Es gibt zahlreiche weitere asylrechtliche Verschärfungen. Dazu gehört unter anderem die Ausweitung von Abschiebungshaft, obwohl seit vielen Jahren bekannt ist, dass ein erheblicher Teil der Inhaftierungen in Abschiebungshaft rechtswidrig ist.
Fazit: Verantwortung übernehmen und Empfehlungen umsetzen
Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag einzulösen, einen klaren Paradigmenwechsel zu vollziehen und auszusteigen aus der Endlosspirale der Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre. Es muss Schluss sein mit einer Politik, die geflüchtete Menschen vor allem als Bedrohung und Belastung ansieht, deren Zahl es durch Abschottung, Abschreckung und Abschiebung zu reduzieren gilt. Stattdessen braucht es dringend die versprochene „Migrations- und Integrationspolitik, die einem modernen Einwanderungsland gerecht wird“, welche die Bedürfnisse und Lebensrealitäten geflüchteter und migrantischer Menschen in Deutschland berücksichtigt und ihre Rechte und gesellschaftliche Teilhabe stärkt anstatt sie zu marginalisieren und Hetze gegen sie zu befördern.

Wir fordern die Bundesregierung auf, die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus vollumfänglich umzusetzen. Hierzu gehört auch die Anerkennung von geflüchteten Roma als besonders schutzbedürftige Personen, ein sofortiger Abschiebestopp für Roma und die Ermöglichung einer Wiedereinreise von Roma, die trotz starker Verwurzelung in Deutschland abgeschoben wurden, und eine Beendigung der Staatenlosigkeit von in Deutschland lebenden Roma.
Deutschland muss endlich seiner historischen Verantwortung gerecht werden: Für Roma braucht es einen generellen Schutzstatus, unabhängig von ihrem „Herkunftsland“.
Eine Möglichkeit, dies umzusetzen, haben wir am 19. Februar 2024 im Bundestag vorgestellt und kann hier detailliert nachgelesen werden: