Gudrun Peters hat für uns einen Bericht über ihre Reise nach Serbien und in den Kosovo geschrieben. Während dieser Reise besuchte sie zwei Familien, die Deutschland hatten verlassen müssen. Vor einem halben Jahr hat Frau Peters für uns bereits einen Artikel über die „freiwillige“ Ausreise einer der Familien und die schwere Verletzung, die einer der Söhne bei einem Angriff erlitten hat, geschrieben.
Reisebericht: Serbien und Kosovo vom 27.08. bis 02.09.2017
Reisebericht_Gudrun Peters (PDF)
Im August 2017 hielt ich mich zusammen mit einem Freund für eine Woche in Belgrad auf. Wir wollten diese Stadt kennenlernen und zwei Familien besuchen, die ein Jahr zuvor „freiwillig“ in den Kosovo bzw. nach Serbien ausgereist waren. Davor haben sie mehrere Jahre in unserer Nähe in Bayern gelebt. In diesem kurzen Bericht werde ich mich in erster Linie auf diese beiden Begegnungen beschränken.
Nach einigen Tagen in Belgrad machten wir uns mit dem Mietwagen auf den Weg in Richtung Süden nach Mladenovac, wo eine der beiden Familien seit kurzer Zeit untergekommen ist. Nach stürmischer Begrüßung der sechs Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren konnten wir uns ein Bild über die Lebensumstände im neuen Heim machen. Das Mobiliar ist äußerst sparsam, abgenutzt und sehr einfach. Wir konnten außer einem kleinen Fernsehgerät keine weiteren elektrischen Geräte wie z.B. Kühlschrank, Herd oder Waschmaschine ausmachen. Die schlechte Bausubstanz des Häuschens spielte zum Zeitpunkt des Besuches keine besondere Rolle, da sehr warmes Wetter herrschte. Die Situation im Winter stellt sich sicher vollkommen anders dar – ein einfacher Holzofen wird die alleinige Wärmequelle in einem einzigen Raum sein. Da Lebensmittel oder Hygieneartikel entweder den Umzug nicht mitgemacht hatten oder aufgrund von Geldmangel nicht vorhanden waren, fuhren wir für einen Grundeinkauf in einen nahegelegenen Supermarkt.
Die schulpflichtigen Kinder berichteten von vielen schlechten Erfahrungen in der früheren Schule: Ständiges Mobbing durch Lehrer und Mitschüler, Schläge, vor allem Verweigern von Förderung bei Lernproblemen – darunter leiden die Kinder am meisten. Das jüngste Kind geht nicht in den Kindergarten, da dieser kostenpflichtig ist. In Serbien (ebenso wie im Kosovo) gehen die älteren Kinder vormittags zur Schule, die Jüngeren am Nachmittag. Wie sich die Situation in der neuen Schule nach dem Umzug darstellt, wissen wir noch nicht. Roma dürfen übrigens kostenlos die öffentlichen Busse nutzen, sodass die Familie zum Glück mobil ist.
Einige Tage später machten wir uns mit dem Auto auf den Weg in Richtung Kosovo, wo wir nach etwa 350km Fahrt am Grenzübergang Merdare die inzwischen in Lipjan ansässige Aschkali-Familie treffen wollten. Auf serbischer Seite parkten wir an einer freien Stelle neben einigen weiteren Autos, was uns ein serbischer Polizist in heftiger Weise untersagen wollte. Wir versuchten seine Einwände weitestgehend zu ignorieren und gingen zu Fuß weiter Richtung Grenzkontrolle.
Die serbischen Mitarbeiter schauten in unseren Pass und winkten uns durch. Der Kontrolleur auf der Seite des Kosovo machte uns in fließendem Deutsch sehr deutlich darauf aufmerksam, dass hier kein Serbisch gesprochen werde – wir hatten ihn gewohnheitsmäßig auf Serbisch begrüßt. Nachdem der Pass abgestempelt worden war, konnten wir weiter gehen. (Dieser Stempeleintrag wurde übrigens bei der Ausreise aus Serbien durch die Passkontrolle am Flughafen durch einen entsprechenden Stempel für „ungültig“ erklärt.)
Es war nicht leicht, die Familie, die wir treffen wollten, auszumachen, da sehr viele PKW und LKW auf beiden Seiten der Grenzanlage auf Abfertigung warteten. Doch schließlich fanden wir zusammen und begaben uns in eine offensichtlich ganz neu erbaute „Raststätte“ – die fünfköpfige Familie, die mit einem geliehenen Auto angereist war, wartete seit Stunden in der heißen Sonne.
Schnell fand sich ein ebenfalls deutsch sprechender Mitarbeiter der Raststätte, der uns gegen Entgelt mit seinem Wagen über ein ganz neu erbautes Autobahnteilstück nach Lipjan fuhr, sodass wir den Nachmittag bei der Familie verbringen konnten, die inzwischen auch wieder in Lipjan angekommen war. Die Wohnsituation zeigte sich um einiges besser als bei der Familie in Mladenovac, sowohl was das Haus selbst als auch die Ausstattung betraf. Zumindest gelegentliche finanzielle Unterstützung aus Deutschland hat wohl geholfen. Allerdings wird die Familie aufgrund privater Differenzen in absehbarer Zeit aus dem Haus ausziehen müssen, sodass erneut die Suche nach einer Bleibe anstehen wird.
Unser Besuch fiel auf den Tag vor dem Zuckerfest. In Lipjan herrschte daher besonders reges Treiben. An allen Straßenecken wurden Schafe für das Zuckerfest angeboten und lautstark angepriesen. Ungewöhnlich viele Menschen hielten sich in der kleinen Stadt auf, um das Fest gemeinsam mit Freunden und Familie zu begehen. Auffällig im Ortsbild war eine neu gebaute kleine Moschee – ein Geschenk der EU im Sinne der Völkerverständigung, wie auf einem Schild zu lesen war. Der Imam begrüßte mich sehr herzlich und lud mich zu einer Besichtigung ein.
An einer exponierten Straßenecke hielten sich mehrere Dutzend Männer jeden Alters auf – hier warten sie täglich viele Stunden auf Gelegenheitsarbeit, die von vorbeifahrenden Privatleuten oder Firmen angeboten wird. Doch meist warten sie vergebens. Der Tageslohn beläuft sich auf maximal 10 Euro – jeder nimmt jeden Job an.
Die Kinder unserer Besuchsfamilie in Lipjan gehen entweder zur Schule oder in den Kindergarten, der kostenlos besucht werden kann. Wir erfuhren auch hier von erheblichen Benachteiligungen der Kinder (so werden z.B. vergessene Hausaufgaben bei Aschkali-Kindern mit Fensterputzen bestraft!), doch insgesamt standen die Kinder dieser Familie der Schule und den Lernchancen, die sie ihnen bietet, trotzdem eher positiv gegenüber.
Wir tauschten uns rege über die Alltags- und Gesundheitsprobleme aus und gewannen zumindest einen Eindruck davon, wie problematisch sich z.B. eine notwendige ärztliche Behandlung darstellt – eine Krankenversicherung ist nicht vorhanden. Beide älteren Jungen der Familie waren im Januar 2017 während des Spielens auf dem Schulhof von einem Unbekannten angeschossen worden. Die Tat wurde polizeilich weder verfolgt noch in irgendeiner Form aufgeklärt. Einer der Buben erlitt dabei eine schwere Augenverletzung, die mehrere Operationen erforderlich machte, um das Augenlicht bzw. das Auge selbst erhalten zu können.
Ärzte in einer Klinik in Pristina vermittelten einige Monate nach den ersten Operationen (die auch durch Spenden unsererseits finanziert worden waren) den Kontakt zu einer Spezialklinik in Tirana/ Albanien, da noch ein weiterer komplizierter Eingriff erforderlich geworden war. Die Kosten wurden von den Ärzten auf 3300 Euro festgelegt. Man bestand auf vollständige Aushändigung des Geldes im Vorfeld der Behandlung. Mit großer Anstrengung konnten wir im privaten Umfeld diese Summe sammeln und an den Vater der Familie überweisen. Der Betrag wurde in Tirana bar an einen Arzt übergeben, woraufhin die Operation in letzter Minute stattfand. Natürlich wünschten sich viele Spender in Deutschland einen Nachweis darüber, dass ihre Spende tatsächlich für die Augenoperation verwendet wurde. Allerdings wollte bis jetzt noch keiner der Ärzte eine Bestätigung z.B. in Form einer Rechnung ausstellen, die vom Vater des Jungen mehrfach angefragt wurde. Solche Dinge erschweren uns das Sammeln von Spenden erheblich.
Anfang September 2017 gab es einen wichtigen, telefonisch vereinbarten Nachuntersuchungstermin, denn der Junge klagt noch immer über schmerzhafte Nachwirkungen. Zudem muss eine Brille angepasst werden. Vater und Sohn machten sich – wie nun schon des Öfteren – mitten in der Nacht mit dem zu dieser Zeit billigeren Bus auf den Weg nach Tirana, wo sie auch pünktlich zum vereinbarten Termin erschienen. Doch leider fand sich niemand, der für eine Untersuchung an diesem Tag bereit war und man schickte die beiden nach Stunden vergeblichen Bittens und Wartens unverrichteter Dinge wieder weg: Fast zwei Tage für die Hin- und Rückreise und 120 Euro Fahrtkosten waren verschwendet. So bestehen die Schmerzen nach wie vor und die Brille stellt noch immer keine brauchbare Sehhilfe dar, was sich besonders negativ in der Schule auswirkt.
Auch über die alltägliche Versorgung mit Lebensmittel konnten wir uns austauschen: Die meisten Lebensmittel werden oft zunächst durch Anschreiben in dem jeweiligen Geschäft erworben – bezahlt werden sie, sobald Geld in Sicht ist. Ein besonders großes Problem stellt in der kalten Jahreszeit das Beschaffen von Holz für den Ofen dar, da auch das mit erheblichen Kosten verbunden ist. Beide Familien berichteten uns schon während des letzten Winters: Es gibt immer wieder entweder Essen oder Holz für den Ofen – die Familie gleichzeitig mit Nahrung und Wärme zu versorgen, ist über weite Strecken nicht möglich.
Am Abend wurden wir mit dem geliehenen Auto von unserem Gastgeber zurück nach Merdare gebracht, von wo aus wir die lange Rückreise nach Belgrad antraten.
Am kommenden Tag besuchten wir die beiden Belgrader Stadtviertel Karaburma und Krnjaca. Hier leben viele Roma-Familien unter offensichtlich sehr schwierigen Verhältnissen. Jedes auch nur irgendwie behelfsmäßig erscheinende Gebäude scheint bewohnt zu sein, egal ob es überhaupt Fenster oder Türen besitzt. Doch auch hier zeigte sich das Stadtbild an vielen Stellen ebenso wie in ganz Belgrad: Modernste Gebäude und Einrichtungen liegen unmittelbar neben Häusern, die offensichtlich vom Verfall bedroht sind.
Wir können mit Blick auf die gesamte, wenngleich nur kurze Reise sowohl in Serbien als auch im Kosovo nur auf positive Begegnungen mit Menschen, durchaus unterschiedlichster sozialer Herkunft, zurück blicken. In beiden Ländern begegneten uns immer wieder große Hilfsbereitschaft und Kontaktfreudigkeit der Menschen. Selbst eine Polizeikontrolle in Belgrad (wir hatten uns verfahren und wendeten verbotenerweise auf einer mehrspurigen Straße) endete nach entsprechender Belehrung und Kontrolle der Papiere damit, dass uns die beiden Beamten ausführlich den richtigen Weg beschrieben und uns weiterfahren ließen.
Nur wenn das Gespräch auf das jeweilig andere Land kam, zeigten sich die offensichtlich im Moment noch unüberwindbaren Gegensätze und Vorbehalte. So fand sich beispielsweise in Belgrad kaum ein Gesprächspartner, der uns über die Lage des Grenzübergangs Merdare Auskunft geben konnte oder wollte. Auch auf unserer in Belgrad gekauften Landkarte war er nicht eingezeichnet.
Es hat sich auf jeden Fall gezeigt, wie wichtig solche Besuche auch sind, um den Menschen zu zeigen, dass sie nach ihrer Abreise nicht einfach vergessen wurden. Außerdem konnten wir uns durchaus einen Einblick verschaffen, wie weitere Unterstützungsaktionen einen Beitrag zur Selbsthilfe im jeweiligen Land leisten könnten, auch wenn diese letztendlich wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheinen. Denn auch die Grenzen unserer Möglichkeiten können wir nun besser reflektieren.
Eine für uns insgesamt sehr lohnenswerte, informative und erlebnisreiche Reise!
Gudrun Peters