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Roma-Familie traumatisiert. Nach Tod der kleinen Tochter erfolgt Kindesentzug

Im März 2023 stirbt die kleine Tochter von Familie Saciri-Salihi aus Göttingen. Nach ihrem Tod werden die Eltern beschuldigt und die Geschwister in Obhut genommen. Mehr als ein Jahr ist vergangen und das einzige, was gewiss ist, sind Trauer, Wut und Verzweiflung der Familie.

Die Göttinger Roma-Familie Saciri-Salihi wendet sich nach dem Tod ihrer ca. 2,5jährigen Tochter und dem Entzug ihrer weiteren Kinder an das Roma Center. Die Eltern sind verzweifelt. Sie wollen ihre Kinder zurück und möchten wissen, warum ihre Tochter gestorben ist. Der Tod des Kindes wird auf Basis eines vorläufigen Obduktionsberichts auf ein Schütteltrauma zurückgeführt, und die Eltern als „Hauptverdächtige“ im Todesfall des Kindes geführt. Es gab Vernehmungen, aber keine Anklage. Inzwischen wurde das strafrechtliche Verfahren eingestellt.

Am 5. März 2023 sind die vier Kinder der Roma-Familie Saciri-Salihi krank, sie haben Fieber. Am nächsten morgen wacht die jüngste Tochter morgens früh auf und übergibt sich unaufhörlich. Die Eltern rufen zig mal bei der Kinderärztin an, die sie jedoch erst am nächsten Tag empfangen kann. Der Vater ruft beim Notruf an, der erstmal nach der Krankenversicherung fragt. Nachdem kein Krankenwagen kommt, laufen die Eltern mit der Kleinen zum Bruder des Vaters in der Nachbarschaft, da er ein Auto hat. Derweil übergibt sich die Kleine weiter und ist sehr schlapp. Im Krankenhaus angekommen, versucht das medizinische Personal 90 Minuten lang, die Kleine wiederzubeleben. Um12:17h wird der Tod festgestellt.

Die rechtsmedizinische Obduktion wird im selben Krankenhaus durchgeführt, in dem das Kind starb.

Als Todesursache wird genannt: „zentrales Regulationsversagen bei beidseitigem Subduralhämatom, gegebenenfalls in Verbindung mit funktionellen Störungen/ Aspiration“. Die Hirnverletzung wird auf ein Schütteltrauma zurückgeführt. Andere mögliche Interpretationen werden nicht erwähnt. Darüber hinaus wurden keine Anzeichen für Kindesmisshandlung gefunden. Die zahlreichen weiteren Verletzungen, die der Körper des Kindes aufwies, wurden alle auf die medizinischen Maßnahmen zurückgeführt.

Aufgrund dieses vorläufigen Gutachtens wurden am 16. März die drei kleinen Kinder der Familie in Obhut genommen, die Eltern verhört. Ihnen wurde unterstellt, das Schütteltrauma verursacht zu haben. Sie wurden der schweren Körperverletzung mit Todesfolge beschuldigt und verhört. Die Kinder wurden getrennt voneinander untergebracht.

Auf den Tag genau zwei Monate nach dem Tod der Kleinen, wird eine weitere Schwester geboren. Sie ist gerade mal drei Tage alt, als sie der Familie entzogen wird.

Seitdem versuchen die Eltern alles in ihrer Macht stehende zu tun, die Kinder wiederzubekommen. Eine Anwältin für Familienrecht wurde eingeschaltet. Alle Anträge, sie wiederzubekommen, wurden abgelehnt. Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Kürzlich kam das Gutachten, in dem das Gehirn des verstorbenen Kindes detailliert untersucht wurde. Hier konnten keine Hämatome festgestellt werden. Die Gutachter:innen konnten keine Todesursache feststellen.

Wenige Tage später kam das abschließende Gutachten, in dem der Gutachter seine ursprüngliche These vom Schütteltrauma als Todesursache wiederholt und alle Widersprüche vom Tisch fegt. Wir haben erhebliche Zweifel an der Neutralität des Gutachtens.

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Eltern ihre Kinder misshandeln würden. Weder wurde durch medizinisches Personal oder andere Personen, die im Kontext der Ermittlungen befragt wurden, entsprechende Anzeichen gefunden. Die Familie hatte vor dem Tod ihrer Tochter noch nie mit dem Jugendamt zu tun.

Die Eltern (und wir mit ihnen) verstehen nicht, warum sie beschuldigt werden. Sie sind sich sicher, dass ihr Kind nicht an einem Schütteltrauma gestorben sein kann. Auch sie wollen wissen, warum sie tot ist.

Es bleiben zahlreiche weitere Fragen:

Hätte das kleine Mädchen gerettet werden können, wenn der Krankenwagen rechtzeitig da gewesen wäre? Warum kam er erst nach 40 Minuten an, obwohl diese Strecke mit Auto zehn bis 15 Minuten dauert? Spielt der Name der Familie eine Rolle? Oder die Adresse, an der sie Wohnen? Welche weiteren Ursachen können die Verletzungen am Gehirn haben? Warum wird jede mögliche alternative Erklärung für den Tod gar nicht erst in Betracht gezogen? Wie ist zu erklären, dass bei der detaillierten Untersuchung des Gehirns keine Hämatome gefunden werden konnten? Warum hatte das Kind keine blauen Flecken oder andere Verletzungen an den Armen oder am Oberkörper, wenn es angeblich so heftig geschüttelt wurde?

Die Eltern möchten ein Gegengutachten in Auftrag geben, damit zumindest eine Chance besteht, einige der Fragen zu klären und eventuell sogar herauszufinden, warum sie ihr Kind verloren haben.

Kindesentzug gehört historisch wie gegenwärtig zu den schwersten Formen institutioneller Diskriminierung gegen Roma. Er hat in Deutschland wie in vielen anderen Ländern Europas eine lange Tradition, die zahlreiche Roma-Kinder traumatisiert. Wir sind nicht grundsätzlich gegen Inobhutnahmen. Kinder, die misshandelt werden, sollten nicht ihren Eltern ausgeliefert sein. Jedoch werden Roma-Kinder meist aus Gründen in Obhut genommen, die auf Stereotypen und auf Armut und Ausgrenzung basieren und nichts mit Kindesmisshandlung zu tun haben. Statt die tatsächlichen Ursachen zu beheben und Menschen in Umständen leben zu lassen, die das Kindeswohl nicht gefährden, werden die Familien lieber auseinandergerissen, die Minderjährigen untergebracht und die Eltern und volljährigen Kinder vergessen.

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