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Im Gespräch mit Roma-Aktivistin Radmila Anić „Ich kann nie wieder zurückgehen nach Serbien“

ssssIm Gespräch mit Roma-Aktivistin Radmila Anić „Ich kann nie wieder zurückgehen nach Serbien“
Radmila Anić spricht über die Beweggründe ihrer Flucht aus Serbien. Trotz ihrer Bedrohung in Serbien wurde ihr Härtefallantrag abgewiesen. Doch ist Serbien für Radmila sicher?
RAN: Mich würde interessieren, seit wann sind sie hier und was waren die Gründe für Sie hierherzukommen?
Radmila: Ja, ich lebe seit zwei Jahren hier in Deutschland. Ich musste mein Land verlassen. Warum? Weil ich viele Probleme gehabt habe in Serbien. Das größte Problem war die Mafia. Mit der Mafia zusammen haben auch zwei Polizisten von mir Geld erpresst. Ich habe eine Firma gehabt in Serbien, eine Textilfirma. Und meine Organisation hat sich für alleinerziehende Romnja eingesetzt und sie unterstützt. Ich habe die Frauen in meiner Textilfirma beschäftigt. Die Mafia hat mich immer erpresst und mein Geld genommen. Ich hatte keine Ruhe dort. Sie haben mich als „Zigeuner“ beschimpft und gefragt, weshalb ich die Roma-Frauen unterstütze. Mein ganzes Erspartes haben sie genommen. Schon lange war das so, zwei Jahre lang. Die Mafia hat mich so unter Druck gesetzt, dass ich meine Firma, meine Organisation aufgeben musste. Ich musste alle Nähmaschinen zurückgeben. Die Mafia hat mir gedroht, wenn ich zur Polizei gehe, werden sie meine Schwester und deren Kinder töten. Ich musste fliehen. Aber die Behörden hier in Deutschland, Bundesamt oder Ausländerbehörde, wo ich ein Interview gegeben habe, glauben mir nicht. Die sagen, dass ich lüge. Ich lüge nicht! Ich habe Dokumente von der Firma, die das beweisen. Warum sollte ich nach Deutschland kommen, wenn ich genug habe? Aber, wenn ich so große Probleme habe, kann ich nicht bleiben in Serbien. Ich kann nie wieder zurückgehen nach Serbien!
RAN: Wie ist die Situation ihrer Schwester derzeit in Serbien?
Radmila: Meine Schwester ist seit fünf Jahren im Gefängnis. Meine Schwester wurde auch von der Mafia bedroht. Sie haben sie erpresst und zur Zuhälterei gezwungen. Fünf junge Mädchen haben sie ihr gebracht. Und meine Schwester hat gesagt: Nein, das will ich nicht machen. Meine Schwester ist 59 Jahre alt. Ich bin 61. Meine Schwester sagte: Nein, das mache ich nicht. Aber die Mafia hat sie dazu gezwungen und das Geld der fünf Mädchen kassiert. Sie haben meiner Schwester gedroht, wenn sie es nicht macht, werden sie sich an ihren Kindern rächen. Als dann die Polizei kam, hat sie sie mitgenommen. Jetzt ist sie schon seit fünf Jahren im Gefängnis. Abgesehen von meiner Schwester habe ich keine Familie in Serbien. Ich bin ganz alleine. Ich habe keine Kinder. Und wie soll ich in Serbien leben? Wenn ich zurückgehe, muss ich das gleiche Schicksal wie meine Schwester erleiden, werde bedroht und muss um mein Leben fürchten.
Jetzt kommt das zweite Thema: Mein Mann war hier in Deutschland im Lager vier Jahre, als Krieg war. Und ich sage immer: Findet bitte heraus, in welchem Lager mein Mann war. Ich sage Jahre, in denen er weg war. Vier Jahre war er hier von 1941 bis 1945. Während des zweiten Weltkrieges waren viele Roma in Konzentrationslagern. Und warum haben wir Roma, kein Recht hierzubleiben in Deutschland? Bundesamt, Ausländerbehörde alle müssen sagen: Ja. Die sagen: Nein, das war früher. Es ist egal, ob es früher war. Roma haben das nicht vergessen. Ich kenne mein Recht. Roma aus Serbien, Kosovo, Mazedonien wurden während des zweiten Weltkrieges in KZ verschleppt. Ich kenne die ganze Geschichte.
Ich habe einen Brief an Angela Merkel geschrieben. Warum werden Roma abgeschoben? Warum werden Flüchtlinge aus Syrien z.B. und aus Afghanistan aufgenommen und warum sollen wir weg? Ja, so ist das Gesetz. Das ist die Politik. So ist das Gesetz. Warum werden wir Roma abgeschoben? Warum werden speziell viele Roma abgeschoben? Roma müssen in Deutschland bleiben dürfen. Ganz egal ob sie krank sind oder nicht. Alle Kinder gehen hier zur Schule. Unsere Roma-Kinder werden hier eingeschult. Sie kennen nicht die Schule in Serbien. Wenn die jetzt nach Serbien gehen müssen, sie haben die Sprachkenntnisse nicht. In Serbien sagen sie: „Geh mal nach Deutschland!“ Und so ist das, die Situation für uns Roma ist in Serbien ganz schwer. Und jetzt, wenn Roma, speziell nur Roma, wenn sie zurück nach Serbien gehen, allen wird es so gehen. Sie werden sagen: „Wo warst du?“ „In Deutschland?“
RAN: Wenn man jetzt in Serbien nächste Woche wäre. Wie wär das?
R: Ja, wenn Roma, speziell Roma, jetzt zurück nach Serbien gehen und wenn sie dann fragen: „Wo warst du so lange?“ Also alte Frau, wie ich, kriegt auch ein bisschen Sozialgeld. Wenn ich jetzt wieder zurückgehe, fragen sie: „Wo warst du solange?“ Ich sage: „In Deutschland zu Besuch“ „Oh, zwei Jahre warst du zu Besuch?“ Die wissen, man darf nicht zwei Jahre besuchen, sondern nur drei Monate. Und die sagen: „Nein, hier gibt’s keine Sozialhilfe“
RAN: Und dann bekommt man keine Sozialhilfe?
R: Keine Sozialhilfe.
RAN: Und ist das nur bei Roma so oder auch bei anderen Gruppen?
R: Nein, nur bei Roma. Nur bei Roma. Viele Leute glauben das nicht, aber das stimmt. Die Leute wollen keine Roma. Und unser Präsident auch nicht. Warum? Ich weiß nicht. Warum? Sind wir keine Menschen? Warum sie keine Roma wollen, weiß ich nicht. In Serbien wollen sie keine Roma. Viele Roma haben keine Wohnung, schlafen auf der Straße. Als ich in Serbien war, habe ich immer Demos organisiert. Als der andere Präsident an der Macht war Boris Tadić, war es gut für Roma. Eine Demo, zwei Demos- mehr nicht. Und heute sagen sie: Wer ein ungarischer Rom ist, soll nach Ungarn gehen oder Roma sollen nach Indien gehen. Wieso soll ich nach Indien? Ich bin hier geboren. Meine ganze Familie ist in Serbien geboren. Als der Präsident Boris Tadić an der Macht war, war es besser für Roma. Wenn Boris Tadić wieder Präsident werden würde, würde ich sofort wieder zurückgehen. Ich sage nicht, dass Serbien nicht gut ist, aber für Roma ist es katastrophal.
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Auszug aus einem Interview mit Radmila Anić vom 8. 11. 2015 in Erfurt

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