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Auch nach 17 Jahren – keine Hoffnung auf ein Bleiberecht für Göttinger Roma-Familien

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Auch nach 17 Jahren – keine Hoffnung auf ein Bleiberecht für Göttinger Roma-Familien
Für die von Abschiebung bedrohten Roma-Familien aus Göttingen scheint nun auch der letzte Funke Hoffnung auf eine Bleibeperspektive erloschen. Leidtragende dieses Verwaltungshandelns sind vor allem die 13 Kinder und Jugendlichen, die hier in Göttingen aufgewachsen sind.
Die im Zuge der „Flüchtlingskrise“ rasant entwickelten Asylrechtsverschärfungen, verbunden mit der Deklarierung verschiedener Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer, als auch die asylrechtliche Perspektivlosigkeit von Flüchtlingen aus dem Balkan, benachteiligen Roma und schüren Ressentiments. Ungeachtet massiver Diskriminierungen und Rassismus werden Roma beispielsweise in den Kosovo abgeschoben. Es ist ein Skandal, dass es nach wie vor keine humanitäre Regelung für Roma gibt. Die aktuelle Situation die Flüchtlinge betreffend, darf nicht auf dem Rücken von Roma-Kindern ausgetragen werden, die hier geboren und aufgewachsen sind.
Seit Ende November letzten Jahres unterstützt das Bündnis für Bleiberecht die von Abschiebung bedrohten Göttinger Roma-Familien und macht auf die prekäre Lage der Kinder aufmerksam. Es gab zahlreiche Bemühungen, die Abschiebung der Familien abzuwenden. Hoffnung wurde zuletzt in den Ermessensspielraum des Oberbürgermeisters Rolf-Georg Köhler und der Verwaltung gesetzt, den Familien eine Duldung für ein Jahr zu erteilen. Piraten, Grüne und Antifaschistische Linke wollten dies mit ihrem Antrag am 12.2.2016 in der Göttinger Ratssitzung erreichen. Der Gruppenvorsitzende der CDU/FDP Gruppe Herr Dr. Scherer beantragte bereits zu Beginn der Ratssitzung am 12. Februar die „Nichtbefassung“ mit dem Thema. Die SPD schloss sich diesem Antrag an. Daraufhin eskalierte die Sitzung. Es gab lautstarke Proteste im Ratssaal. Herr Humke von der Antifaschistischen Linke bezeichnete es als skandalös. Sich mit dem Antrag nicht zu befassen, verdeutliche das Demokratie-Verständnis der Verantwortlichen. Es sei wichtig, alle Perspektiven eines Aufenthalts aus humanitären Gründen auszuschöpfen.
Die Göttinger Jusos kritisieren ebenfalls scharf das Verhalten der SPD-Ratsfraktion am Freitag, gemeinsam mit CDU/FDP Gruppe für eine Nichtbefassung des Falls zu stimmen. Die Vorsitzende des Juso-Unterbezirks Göttingen, Silke Hansmann, fordert eine klare Haltung ihrer Partei gegen Abschiebungen, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Jusos vermissen im Hinblick auf die Asylrechtsverschärfung jegliche sozialdemokratischen Grundwerte. Larissa Freudenberg vom Stadtverbandsvorstand fordert von der Mutterpartei eine klare Haltung gegen Abschiebung.
Die Abschiebung der Familien sollte am Mittwoch, den 10.2.2016, vollzogen werden. Das Göttinger Tageblatt berichtete von dem gescheiterten Abschiebungsversuch. 60 Polizeibeamte suchten am Mittwoch den Rosenwinkel auf, konnten jedoch die Familien in den Wohnungen nicht auffinden. Noch am Montagabend, am Weltbettag, haben die Familien aufgrund der Aussichtslosigkeit ihrer Situation, Zuflucht in der St. Michaeliskirche gesucht. Leider wurde ihnen dieser Schutzraum verwehrt. Die Familien sind mit der aktuellen Schocksituation völlig überfordert. Eine der betroffenen Mütter ist akut suizidgefährdet.
Unterdessen vermissen MitschülerInnen, TheaterkollegInnen und FreundInnen die Göttinger Roma-Kinder und Jugendlichen. Aus Protest haben Jugendliche der Theaterinitiative „Boat People Projekt“ eine Theaterszene, die eigens für den Kunstempfang „Aschermittwoch der Künste“ für die Hannoversche Landeskirche am 10.2.2016 einstudiert wurde, nicht aufgeführt. Ohne Anita wollten die Jugendlichen nicht spielen. Vor einer Woche konnte das Roma-Center das zweisprachige Kinderbuch „Sunita und Mira feiern Herdelezi“ veröffentlichen. Wir bedauern es sehr, dass die Autorin Hatigje Osmani, die an der Entwicklung der Geschichte mitgewirkt hat, keine Gelegenheit hat, das Buch vorzustellen. Auch in den Schulen werden die Göttinger Kinder und Jugendlichen vermisst. MitschülerInnen und LehrerInnen sind fassungslos, in welcher Situation sich die Kinder befinden.
Was gelten unsere Gesetze, wenn Kinder nicht geschützt werden, wenn man sie in ein Land abschiebt, in dem sie keine Chance auf ein menschenwürdiges Leben haben? Wer sie abschiebt, muss sich darüber im Klaren sein, dass er sie ins Elend schickt. Die Göttinger Kinder werden Müllsammler im Kosovo.
Zwar haben die Familienväter Fehler gemacht in der Vergangenheit, doch erstens dürfen dafür nicht die Kinder büßen und zweitens haben sie für diese Fehler längst bezahlt. Es scheint, als müssten die Roma besonders hart bestraft werden, während andere Menschen, die Schlimmeres verbrochen haben, frei herum laufen. Es ist Zeit, genauer hinzusehen und zu erkennen, dass von diesen Familien mitnichten eine Gefahr ausgeht, Zeit zu begreifen, dass sie zu uns gehören und dass wir mit ihnen ein Stück von uns verlieren. Ohne unsere Hilfe werden sie kein normales Leben mehr haben können. Mit unserer Hilfe ist nicht nur ihnen, sondern auch uns geholfen. Denn sie geben uns auch etwas zurück. Und mehr als das, was wir sehen! Wir sind im Begriff, sie zu verlieren. Es sei denn, jemand hätte den Mut zu handeln.

Romafeindlichkeit in der Presse 
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