Corona trifft die sozial Ausgeschlossenen besonders hart
Im Moment scheint jedes Land in Europa mit nationalen Lösungen auf ein internationales Problem zu reagieren. Die EU schottet sich noch mehr ab als sie es ohnehin schon tat, und nun sind auch viele Grenzen innerhalb der EU geschlossen. Die Regierungen reagieren mit Regelungen und Verboten, Empfehlungen und Schutzmaßnahmen. Wir lesen: Das Virus betrifft uns alle. Aber Fakt ist: Das Virus betrifft uns nicht alle in gleichem Ausmaß. Die Mehrheit kann sich schützen, hat Zugang zu Wasser, medizinischer Versorgung und sozialer Absicherung.
Eine der wichtigsten und für die meisten von uns einfachsten Regeln, sich vor Viren zu schützen: Hände waschen. Nun haben aber auch in Europa nicht alle Menschen Zugang zu sauberem Wasser. Das betrifft vor allem Roma. Das European Roma Rights Centre hat daher die europäischen Regierungen aufgefordert, sicherzustellen, dass marginalisierte Communities uneingeschränkten Zugang zu sauberem Wasser haben. Nach Untersuchungen des ERRC hat die Mehrheit der Roma in Europa keinen Zugang zu Trinkwasser, und mehr als die Hälfte ist auf eine Wasserquelle angewiesen, die mehr als 150 Meter entfernt ist, was sie besonders anfällig für die Verbreitung des Coronavirus macht. Um die Forderung durchzusetzen, wird das ERRC sich an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wenden.
Der Mangel an sauberem Trinkwasser ist nicht das einzige Problem. In vielen europäischen Ländern wurden die Schulen geschlossen. Für Kinder aus marginalisierten Gruppen ist das Schulessen häufig die einzige warme Mahlzeit am Tag (oder die einzige überhaupt). Zudem fehlt vielen armen Familien der Zugang zum Internet, über das Schulen Informationen und Hausaufgaben verteilen. Daher verlieren diese Kinder, wenn die Schulen lange geschlossen bleiben, den Anschluss an den Unterricht. Ein weiteres Problem ohne Internet: Den Menschen entgehen wichtige Informationen, z.B. wie sie sich schützen können oder wo man Unterstützung bekommen kann.
Die NGOs müssen ihre Arbeit und folglich ihre Unterstützungsangebote reduzieren – nicht nur, weil sie wenig Kontakt zu Menschen haben sollen, sondern auch weil ihnen Schutzausrüstung fehlt. Ohne laufen sie nicht nur Gefahr, sich selbst anzustecken, sondern Viren von einer Siedlung in eine andere einzuschleppen. Manche Menschen sind jedoch auf die Unterstützung angewiesen, z.B. wenn sie in Quarantäne sind oder wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können, weil sie alt oder gesundheitlich eingeschränkt sind.
Für Menschen ohne feste, abgesicherte Arbeitsstelle führt die aktuelle Lage zu Einkommensverlusten mit möglicherweise weitreichenden Folgen, wie etwa dem Verlust der Wohnung. Besonders schlimm kann es werden, wenn die Leute, die in einem Land mit hohen Infektionszahlen wie Deutschland arbeiten, zurück nach Hause kommen. Denn sie kommen dann ggf. in die Siedlungen zurück, in denen sozial ausgeschlossene Menschen unter schlechten Bedingungen und mit vielen Menschen auf kleinem Raum leben und wenig Möglichkeiten haben, sich zu schützen. Daher verbreiten sich Epidemien in solchen Siedlungen leichter als an anderen Orten. Zudem gibt es kaum Möglichkeiten, Kranke zu isolieren und damit die Verbreitung des Virus einzudämmen. Schwere Verläufe der Virusinfektion bis hin zum Tod sind vor allem bei alten und vorerkrankten Menschen zu verzeichnen. Menschen, die in Armut und unter schlechten Bedingungen leben, haben häufig chronischen Krankheiten. So trifft sie eine Viruserkrankung zusätzlich besonders hart.
In Bulgarien stehen bereits ganze Roma-Viertel unter Blockade, da die vielen Rückkehrenden aus Westeuropa unter Generalverdacht stehen, das Virus einzuschleppen. Die Roma-Mediatoren sollen die Bewohner_innen über Hygienemaßnahmen aufklären. Ob der Staat Maßnahmen eingeleitet hat, die Bewohner_innen der Viertel zu unterstützen oder vor einer Epidemie zu schützen, ist uns unbekannt.