
Tilman Zülch ist am 17. März 2023 im Alter von 83 Jahren in Göttingen verstorben. Der Menschenrechtler war Gründer der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und hat sich über Jahrzehnte für die Rechte von Roma eingesetzt.
„1979 bis 1981 machte die GfbV den bis dahin tabuisierten Holocaust an Sinti und Roma bekannt. Der von Zülch 1979 herausgegebene Band „In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt“ (mit einem Vorwort des kürzlich verstorbenen Philosophen Ernst Tugendhat), ein gemeinsam mit dem Verband deutscher Sinti unter Romani Rose organisierter Trauermarsch zur KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen (1979) mit der damaligen Präsidentin des Europaparlaments, Simone Veil, und Heinz Galinski, damaliger Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie schließlich der Internationale Roma-Kongress (1981) in Göttingen unter Schirmherrschaft von Simon Wiesenthal und Indira Ghandi, mit 400 Roma-Delegierten aus 26 Staaten und fünf Kontinenten, brachten den Durchbruch: Der Genozid wurde von der Bundesregierung anerkannt. Staatenlose Sinti erhielten ihre deutsche Staatsbürgerschaft zurück, die Bezeichnung Sinti/Roma anstelle von Z* wurde durchgesetzt und die neu entstandenen Institutionen der Volksgruppe wurden nun staatlich gefördert.“
Tilman Zülch spielte aber nicht nur eine wichtige Rolle für die Anerkennung des Völkermords an den Sinti und Roma Europas durch die Bundesregierung 1982.
Nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien und der ethnischen Säuberung gegen Roma, war es die GfbV unter Zülch, die die Verbrechen an den kosovarischen Roma öffentlich gemacht hat: Die Kosovo-Albaner haben fast die gesamte Roma-Bevölkerung, 150.000 Menschen, aus der Region vertrieben und 14.000-20.000 Häuser von Roma geplündert und zerstört oder besetzt. Roma hatten hier mehr als 600 Jahre lang gelebt. In Mitrovica gab es bis 1999 die größte Roma-Mahalla Jugoslawiens.
Viele Roma flohen in Folge der ethnischen Säuberung nach Westeuropa, aber ein Teil blieb auch als Binnenvertriebene in den anderen jugoslawischen Gebieten. Mehrere Hundert Binnenvertriebene wurden auf bleiverseuchtem Land in UN-Flüchtlingslagern in Nord-Mitrovica untergebracht. Die Menschen wurden krank, und viele starben durch die Bleivergiftungen. Auch diese Menschenrechtsverletzungen wurden durch die GfbV öffentlich gemacht. Viele Jahre lang hat sich die von Tilman Zülch gegründete Menschenrechtsorganisation für die Rechte dieser Menschen eingesetzt. Ein Kampf, der weitergeführt werden muss.
Die GfbV holte eine der am schwersten von den Bleivergiftungen betroffenen Roma-Familien nach Deutschland – einen alleinerziehenden Vater mit seinen Kindern. Die Mutter war gemeinsam mit ihrem letzten Baby infolge der Bleivergiftung gestorben.
Das Thema Bleiberecht war für Tilman Zülch ein Herzensanliegen. Gemeinsam mit dem Roma Center hat die GfbV viele Göttinger Roma-Familien in ihrem Kampf um ein Bleiberecht unterstützt. Er war unermüdlich im Einsatz für die von Abschiebung bedrohten Roma-Familien hier vor Ort. Dazu gehörten auch die langjährig geduldeten Familien, deren Kinder in Göttingen geboren wurden.
Wir trauern um unseren langjährigen Weggefährten und Freund, Tilman Zülch.