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30 Jahre Gedenken an den Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. Groß-Demo am 27.08.2022

Am Samstag, den 27. August wurde anlässlich des Gedenkens an die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren eine Groß-Demo organisiert. Zu ihr hatte das Bündnis “Gedenken an das Pogrom“ aufgerufen. Dieses besteht aus zivilgesellschaftlichen Gruppen, Vereinen und Initiativen, welche sich zusammengeschlossen haben, um gemeinsam gegen rechte Gewalt und Rassismus in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus einzustehen. Eine ihrer Forderungen besteht darin, die damaligen Angriffe konsequent als Pogrom zu benennen: Anwohner:innen und Neonazis hatten unter dem Applaus von Schaulustigen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (Zast), in und vor der vor allem rumänische Roma untergebracht waren, sowie ein Wohnheim für vietnamesische Arbeiter angegriffen und in Brand gesetzt. Die mehrtägigen Ausschreitungen waren die massivsten rassistisch motivierten Angriffe seit dem Zweiten Weltkrieg.

Allein in Rostock nahmen an der Demonstration ca. 5.000 Menschen unter dem Motto „Damals wie Heute: Erinnern heißt Verändern!“ teil. Die Demo begann um 14:00 Uhr auf dem nördlichen Parkplatzteil im Bereich Flensburger Straße und endete auf der öffentlichen Grünfläche nördlich des Sonnenblumenhauses mit der Abschlusskundgebung. 

Viele Organisationen hatten sich eingefunden, um Redebeiträge zu leisten, darunter unter anderem das Roma Center e.V. und Romano Sumnal, sowie die Gedenkinitiative Phan Văn Toản und die Initiative 19. Februar Hanau.

Das Roma Center hat den Pogrom in seiner Rede  kontextualisiert:

In Deutschland, gerade wiedervereinigt, gab es eine breite Stimmung gegen Geflüchtete, die sich auch in Gewaltexzessen äußerte. Der Pogrom von Rostock-Lichtenhagen war einer davon. Dass unter den Menschen, die dort attackiert wurden, viele Roma waren, ist weitgehend unbekannt. Der Pogrom entstand nicht aus dem Nichts, sondern ist das Ergebnis der von Politik und Medien geschürten Stimmung gegen Geflüchtete und des wieder zunehmenden Nationalismus und Rassismus im Land.

Der Umgang mit den geflüchteten Roma war dabei von besonderem Rassismus geprägt, denn er hat in Deutschland seit Jahrhunderten Tradition. So mussten geflüchtete Roma vor der Zentralen Aufnahmestelle in Rostock-Lichtenhagen ohne jede Versorgung und ohne sanitäre Anlagen kampieren, was seitens der Politik mit der „Roma-Kultur“ gerechtfertigt wurde. Die menschenunwürdigen hygienischen Zustände wurden dann nicht der Politik angelastet, sondern den Roma selbst und schürten weiteren Rassismus.

Ein rassistischer Umgang mit geflüchteten Roma wiederholt sich heute in Rostock im Umgang mit den Roma aus der Ukraine. Gedenken darf nicht in der Vergangenheit verharren, sondern muss auch konsequent Verantwortung für die rassistischen Zustände der Gegenwart übernehmen.

Die Demonstration bildete den Abschluss einer mehrtägigen Aktionsreihe an verschiedenen Orten. Den Auftakt hatte das Interview mit der Roma-Aktivistin und Rechtswissenschaftlerin Izabela Tiberiade, einer Tochter des überlebenden Roma-Zeitzeugen Romeo Tiberiade, gemacht. Bei der Start-Kundgebung der Demonstration bedankte sie sich für das zahlreiche Erscheinen und die damit ausgedrückte Solidarität, denn die Stimmen der Roma wurden bislang wenig beachtet. Ähnliches gilt für die vietnamesisch-stämmigen Bewohner:innen. Es war das erste Mal, dass den Perspektiven der direkt Betroffenen so viel Raum gegeben wurde. Entsprechend gab es auch Forderungen nach materieller Entschädigung für die Betroffenen, sowie nach der Einräumung eines Rückkehrrechts.
Laut Imam-Jonas Dogesch, Sprecher der Demo-Organisation, sind die politischen Folgen des Pogroms weiterhin spürbar, nicht zuletzt aufgrund der danach beschlossenen Asylrechtsverschärfungen. Bereits wenige Wochen nach den Ereignissen in Lichtenhagen unterzeichnete der damalige CDU-Innenminister Rudolf Seiters ein Rücknahmeabkommen mit Rumänien, auf dessen Grundlage viele der Roma-Familien aus dem Sonnenblumenhaus wenig später abgeschoben wurden.

Eine der Hoffnungen, die das Bündnis in die Gedenkveranstaltungen und das offizielle Positionspapier setzt, ist, dass das Thema von der Mehrheitsgesellschaft aufgegriffen und weitergetragen wird, und Verantwortungsübernahme seitens der Politik und der Stadt Rostock einsetzt.

Vorstellung der Bündnis-Initiative mit Liste der Bündnis-Organisationen:

https://gedenken-lichtenhagen.de/bundnis/
Das Bündnis organisiert über das ganze Gedenkjahr 2022 hinweg verschiedene Veranstaltungen, zu einer Übersicht geht es hier: https://gedenken-lichtenhagen.de/veranstaltungen/

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