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Das Massaker von Kragujevac. Zum Porajmos im besetzten Jugoslawien

Das Denkmal für die ermordeten Studenten und Professoren (Schüler und Lehrer) im Gedenkpark in Kragujevac; Foto: Spomenik Database

Das Massaker von Kragujevac. Zum Porajmos im besetzten Jugoslawien

Am 21. Oktober 1941 erschossen deutsche Soldaten im damals deutsch besetzten Serbien zwischen 2.778 und 2.794 Männern und Jungen in Kragujevac. Das Massaker war eine Vergeltungsaktion für einen Angriff von Partisan*innen auf deutsche Soldaten zwei Wochen zuvor, bei dem 10 deutsche Soldaten getötet und 26 weitere verletzt wurden. Entsprechend einem Befehl des deutschen Feldmarschalls Wilhelm Keitel bestand die Vergeltung daraus, für jeden getöteten Wehrmachtssoldaten 100 Personen zu erschießen und für jeden verwundeten 50.

Kollaborateure des „Serbischen Freiwilligencorps“, einer paramilitärischen Formation unter der Kontrolle des pro-deutschen Marionettenregimes von Milan Nedić, unterstützen die deutsche Truppen bei der Auswahl der zu ermordenden Personen. Vorrangig ausgewählt wurden diejenigen, die dem Feindbild der faschistischen Kollaborateure entsprachen: Alle 80 männliche Juden der Stadt, außerdem Kommunisten, Sympathisanten der Partisanen, und Roma. In vielen Fällen verschonten die Kollaborateure ausgewählte Serben, indem sie den Deutschen an ihrer Stelle Roma zur Erschießung anboten – manchmal bis zu zehn Roma für einen Serben. Um die 200 Roma wurden insgesamt ermordet. Alte Menschen, die nicht gehen konnten, wurde einfach gepackt und auf die LKWs geworfen.

Unter den Opfern waren die Brüder Sava und Cvetko Aksentijević. Sie wohnten mit ihrer Familie in der Mišarska-Straße im Stadtteil Licika. Sie hatten die Handwerksschule besucht, bis die neuen rassistischen Gesetze der pro-deutschen Regierung den Schulbesuch von Roma und jüdischen Menschen untersagten. Ihre Mutter, Kosara Aksentijević, erinnerte sich nach dem Krieg in ihrer Aussage vor der Jugoslawischen Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen:

“Die Strafexpedition der Deutschen holte am 20. Oktober 1941 meine beiden Söhne Cvetko und Sava Aksentijević aus meinem Haus. Am nächsten Tag wurden sie von den Deutschen erschossen. Cvetko trug einen aschefarbenen Mantel, eine kurze Hose, einen blauen Hut, schwarze Schuhe und ein weißes Hemd. Sava trug, als er zum Erschießen mitgenommen wurde, ein grünes Blouson, eine braune Hose, neue schwarze Stiefel und ein cremefarbenes Hemd.”

Milka Đorđević verlor beim Massaker ihren Vater: „Ich erinnere mich, dass mein Vater mich ansah, seinen Mantel nahm und auf den Lastwagen kletterte… Ich habe ihn nie wieder gesehen.”

Milka Đorđevićs jüngerer Bruder konnte rechtzeitig fliehen und sich einen Monat lang verstecken, bevor er zurückkehrte.

2017 berichtete sie dem Center for Holocaust Research and Education über ihre Erfahrungen zur Zeit des Massakers sowie über das Leben der Roma in Kragujevac zu dieser Zeit und den weiteren Erlebnissen ihrer Familie während des Krieges. Eine Aufzeichnung des Gesprächs (in serbischer Sprache) ist bei Youtube verfügbar.

Milka Djordjević testimony Kragujevac massacre 19th/21st October 1941 – YouTube

Das Massaker von Kragujevac hat sowohl in Jugoslawien als auch in Serbien einen wichtige Platz in der kollektiven (staatlich geförderten) Erinnerung eingenommen. 1963 wurde ein großer Gedenkpark mit verschiedenen Denkmälern sowie einem Museum eröffnet. Ein detaillierter Überblick des Gedenkparks mit aktuellen und historischen Bildern sowie Ausführungen zur künstlerischen Interpretation der einzelnen Denkmäler gibt es auf der Website „Spomenik Database“.

Das Mahnmal Kristallblume für einen an dieser Stelle erschossenen 15-jährigen Roma-Jungen im Gedenkpark Kraguejvac

Es gibt euch ein Denkmal namens „Kristallblume“, erschaffen 1968 vom Bildhauer Nebojša Delja zu Ehren eines 15-jährigen Roma-Jungen, der zusammen mit Erwachsenen erschossen wurde.

Während sich der Gedenkpark – anders als viele andere Denkmäler aus jugoslawischer Zeit – in einem guten Zustand befindet, weiterhin viel besucht und auch gut gepflegt wird, ist die „Kristallblume“ in einem sehr schlechten Zustand – der Beton hat Risse und Verfärbungen und ist mit Graffiti verunstaltet. Auch der Bereich um die Skulptur herum wirkt im Gegensatz zum Rest des Gedenkparks sehr ungepflegt. Das hängt möglicherweise mit einer Akzentverschiebung in der Gedenkkultur zusammen, die seit dem Ende Jugoslawiens zu einer zunehmenden nationalistischen Geschichtsinterpretation und einer Betonung der Opfer aus der Gruppe der Dominanzgesellschaft in den jeweils neu entstandenen Nationalstaaten führte – bei gleichzeitiger Leugnung, Relativierung oder Rechtfertigung der von der eigenen Seite begangenen Verbrechen und Massaker sowie der Kollaboration nationalistischer und faschistischer Kräfte (z.B. der Ustaša in Kroatien sowie der Četniks und des Serbischen Freiwilligencorps in Serbien) mit den deutschen und italienischen Besatzern.

Ein anschauliches Beispiel hierfür ist der jugoslawische Pavillon in Auschwitz. 1960 hat das Auschwitz-Museum Raum für Ausstellungen über den Holocaust in einzelnen Staaten zur Verfügung gestellt. Die jugoslawische Ausstellung hatte sich allerdings vor allem auf den Widerstand der Partisan*innen und der deutschen Repression gegen sie konzentriert. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens konnten sich die neu entstandenen Nationalstaaten nicht auf gemeinsame Inhalte für eine Ausstellung über den Holocaust auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien einigen. So steht das jugoslawische Pavillon in Auschwitz bis heute leer.

Die neuen politischen Narrative stellten die Gräueltaten während des Zweiten Weltkriegs als Gräueltaten der „anderen“ Nationalitäten gegen die eigenen dar: In Serbien wurden die Verbrechen der faschistischen Ustaša gegen die serbische Bevölkerung betont, in Kroatien die Gräueltaten der serbischen Četniks gegen Kroat*innen. Der massenhaften Mord an Roma und jüdischen Menschen kam dabei nicht vor, ebensowenig wie die von der jeweils „eigenen“ Seite begangenen Verbrechen. Diese einseitige Darstellung von Gewalt der „anderen“ gegen die jeweils „eigene“ Seite diente auch zur Rechtfertigung von Gewalt gegen die jeweils „anderen“ im Kontext der Jugoslawien-Kriege der 1990er Jahre.

Auch die Erinnerung an das Massaker von Kragujevac wurde in eine nationalistische serbische Erinnerungskultur integriert, in der es keinen Raum für Ambivalenzen oder Differenzierungen gibt, und in der das serbische nationale Kollektiv ausnahmslos als Opfer dargestellt wird. So wurde im Jahr 2011 der 21. Oktober  zum offiziellen „Gedenktag für die Serbischen Opfer des Zweiten Weltkriegs“ erklärt. Es gibt auch einen „Gedenktag für die Roma-Opfer des Zweiten Weltkriegs“ am 15. Dezember, allerdings ist zu beobachten, dass das offizielle Gedenken dazu ebenfalls dazu genutzt wird, Serbien bzw. die Serb*innen pauschal in ein gutes Licht zu rücken. So sagte Tigran Kiš, Präsident des Stadtparlaments von Pančevo (wo die zentrale Gedenkfeier an der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Stratište stattfand) im vergangenen Jahr bei der Gedenkfeier: „Dieser Tag ist ein Beweis für das Engagement Serbiens im Kampf gegen den Faschismus.“ – eine fragwürdige Feststellung angesichts der Rolle serbischer Kollaborateure und der vielen Roma, die „im Tausch“ gegen Serben in den Tod geschickt wurden.

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Das Denkmal für die ermordeten Studenten und Professoren (Schüler und Lehrer) im Gedenkpark in Kragujevac; Foto: Spomenik Database

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