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Rassismus, Polizeigewalt und Hass im Netz. Warum Rumäniens Roma ihrem Black-Lives-Matter-Moment nicht nähergekommen sind

Die Gewalttaten seitens der Polizei gegen Roma im rumänischen Bolintin vom 18. April 2020 erinnern an die Bilder der Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA. Bewaffnete Polizisten treten am Boden liegende, gefesselte Männer. In der Anklage ist von der Anwendung von Foltermethoden die Rede.

Wie bei allen Videos von Polizeigewalt, wurden die Aufnahmen des Vorfalls in sozialen Netzwerken geteilt und von der Mainstream-Presse aufgegriffen. Allerdings haben die Aufnahmen keine populären Hashtags oder Straßenproteste ausgelöst. Im Internet wurden stattdessen Äußerungen der Empörung von Kommentaren begleitet, die Unterstützung für die Polizei zum Ausdruck brachten – und diese Meinungen waren sogar in der Überzahl.

Seit Jahrhunderten werden Roma von Staat und Gesellschaft diskriminiert und haben eine Geschichte der Versklavung und ethnischen Säuberung hinter sich. Wie alle in Rumänien, sind Roma dabei, Smartphones und soziale Medien zu erobern. Aber diese neuen Technologien haben sich als zweischneidiges Schwert gegenüber einer Polizei erwiesen, die dafür berüchtigt ist, ungestraft zu handeln, insbesondere – aber nicht ausschließlich – gegenüber Roma.

Videos, die auf Facebook gepostet werden, helfen Roma-Aktivisten zwar, Missstände aufzudecken, die ansonsten nicht gemeldet würden. Aber Polizeiaktionen gegen Roma, die über dieselben Kanäle veröffentlicht werden, ziehen auch Hassreden an und beleben rassistische Stereotypen neu, welche Roma als Kriminelle darstellen.

Aktivisten sagen, dass die vorherrschende rumänische Haltung gegenüber Roma eher von Gleichgültigkeit oder Vorurteilen geprägt sei und dass die sozialen Medien vor allem Letztere verstärkt hätten. „Die Rumänen haben mehr Interesse an den Black-Lives-Matter-Protesten gezeigt als an den rassistischen Übergriffen, die in ihrem eigenen Land stattfinden“, sagt Adrian Tudor, ein Aktivist von Aresel, einer rumänischen NGO für die Rechte von Roma. „Hier denken sie, Roma verdienen alles, was mit ihnen passiert.“

Online-Netzwerke hätten zudem diejenigen ermutigt, die sonst vielleicht Angst gehabt hätten, rassistische Einstellungen zu äußern. „Wenn man sieht, wie andere Roma angreifen, scheint es legitim, das Gleiche zu tun“, sagte er.

Mehr als 600.000 Rumänen – oder über drei Prozent der Bevölkerung des Landes – gaben bei der letzten Volkszählung an, Roma zu sein, obwohl andere Schätzungen ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung auf eher zehn Prozent beziffern.

Im vergangenen Dezember verabschiedete das rumänische Parlament ein Gesetz, das strengere Strafen für diskriminierende Äußerungen und Handlungen gegen Roma vorsieht. Dem neuen Gesetz nach können derartige Verbrechen mit Gefängnisstrafen zwischen drei Monaten und zehn Jahren geahndet werden. Die Auswirkung des Gesetzes auf Hassreden im Internet bleibt unklar, da es noch nicht ausreichend vor Gericht auf die Probe gestellt wurde.

Der online geäußerte Anti-Roma-Hass weist eine große Ähnlichkeit mit der Diskriminierung auf, der Roma im Umgang mit der Polizei und den Gerichten ausgesetzt sind: In beiden Bereichen wird Roma automatisch unterstellt, sie hätten schuldhaft gehandelt.

Aktivisten erklären, dass das rumänische Justizsystem dazu neige, zugunsten der Polizei zu entscheiden, insbesondere in Fällen, die von Roma vorgebracht wurden. Dies habe die Roma-Bürger des Landes abgeschreckt, Beschwerden einzureichen, und der Polizei freie Hand gegeben, sie zu misshandeln.

Laut Eugen Ghita, einem in Bukarest ansässigen Anwalt und Menschenrechtsbeobachter für das European Roma Rights Centre genießen Polizisten „historischen Schutz“, wenn sie gegen Roma vorgehen: „Die Polizei weiß, dass nichts passiert ist, wenn sie Roma misshandelt haben. Sie weiß, dass Roma sich rechtlich nicht so gut schützen können wie andere.“

Der berechtigte Mangel an Vertrauen von Roma in die Gerichte ist einer von vielen Faktoren, die ihnen den Zugang zur Justiz erschweren. Häufig fehlen ihnen auch die finanziellen Mittel, um einen Rechtsstreit zu führen. Infolgedessen spielen Aktivisten und NGOs wie das ERRC eine wichtige Rolle, Roma bei Klagen gegen Institutionen zu unterstützen.

Gleichzeitig tragen die sozialen Medien dazu bei, die Aufmerksamkeit der Aktivisten auf Ungerechtigkeiten zu lenken. Da immer mehr Roma insbesondere Facebook beigetreten sind, seien die Plattformen „eine sehr große Waffe“ geworden, um potenzielle Fälle zu identifizieren, sagte Ghita. Die Vorteile der Online-Übertragung von Polizeigewalt hatten jedoch einen Preis – zusätzliche Angriffe gegen Roma auf den Plattformen.

Die Polizeirazzia, die zu den Foltervorwürfen führte, nahm eine Roma-Siedlung am Rande von Bolintin-Vale ins Visier, eine Kleinstadt 30 km westlich von Bukarest. Die Razzia fand am 18. April letzten Jahres statt, inmitten einer der strengsten Abriegelungen in Europa, während der ersten Welle der Coronavirus-Pandemie. In einer ersten Stellungnahme der örtlichen Polizeibehörde, hieß es, Beamte hätten die Siedlung besucht, um die Einhaltung der Abriegelungsmaßnahmen zu überprüfen. Auf Nachfrage von Balkan Insight sagte die Polizei, sie hätte die Siedlung nach Berichten über eine Schlägerei durchsucht.

Die Klage gegen die Polizei wurde von Roma-NGOs eingereicht. Die von den NGOs und den Anwälten der Roma zusammengetragenen Beweise wurden an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die den Fall gegen die Polizei weiterverfolgen soll. Fast ein Jahr nach der Razzia scheint der Fall jedoch wegen der Bemühungen, die beteiligten maskierten Beamten zu identifizieren, ins Stocken geraten zu sein. „Wir befinden uns immer noch an derselben Stelle“, sagte Augustin Raducanu, ein Anwalt der Roma-Familien.

Marian Mandache, ein Aktivist der Roma-Rechts-NGO Romani Criss, sagte, es sei sehr schwierig, solche Fälle vor rumänischen Gerichten zu gewinnen, da das System zugunsten der Polizei voreingenommen sei. Wurden jedoch ähnliche Fälle von Polizeigewalt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht, haben die Richter in der Regel zugunsten der Roma entschieden. Eine 2017 vom Europarat veröffentlichte Studie bestätigte, dass Roma in Rumänien viele Hindernisse beim Zugang zur Justiz haben, wobei „die Unschuldsvermutung … nicht immer respektiert wird, wenn Roma vor Gericht gestellt werden“.

Bei einem Besuch in der Siedlung im letzten Sommer sprach Balkan Insight mit mehreren Bewohnern über die Geschehnisse am Tag der Razzia. Nachdem mehrere Polizeiwagen ohne ersichtlichen Grund an der Siedlung anhielten und die Jungen und Männer misshandelten, verließ die Polizei schließlich die Siedlung, ohne jemanden zu verhaften oder anzuklagen. Viele Aspekte der Razzia bleiben ein Rätsel.

Die von den Reportern befragten Bewohner wiederholten die auf dem Video zu hörenden Dementis des Mannes, der besonders brutal misshandelt wurde, und sagten, sie verstünden nicht, weshalb die Beamten den Mann verhört hätten. Der Behauptung, er würde auf Facebook posten, wurde ungläubig begegnet. Die Bewohner sagten, die Familien in der Siedlung seien meist zu arm, um Mobiltelefone zu besitzen, und es fehle ihnen auch an zuverlässiger Stromversorgung.

Genau aus diesen Gründen hätten sie das Video des Überfalls nicht filmen und in den sozialen Medien verbreiten können, sagten die Bewohner. Sie sagten, sie glaubten, dass das Video von einem Mitglied des Polizeiteams gefilmt worden sei, möglicherweise in dem Versuch, die Kollegen zu belasten. Die Polizeiinspektion des Kreises Giurgiu gab dazu keinen Kommentar ab, sondern teilte lediglich mit, dass sie „keinen Missbrauch“ dulde.

Der an der Razzia beteiligte Polizeichef, Serban Costel, wurde nach dem Vorfall suspendiert, aber innerhalb von drei Monaten wieder eingestellt. In den sozialen Medien wurde sein Handeln gelobt und die Bewohner von Bolintin-Vale starteten sogar eine Petition, in der sie seine Wiedereinsetzung forderten.

Nicu Dumitru, Aktivist der Bukarester NGO Aresel, sagte, die meisten Roma glaubten nicht, dass es sich lohne, persönlich gegen Hassreden auf Social-Media-Plattformen vorzugehen. „Wir fragen uns: An wen wenden wir uns? An die Rassisten?“ Seine Kollegin Livia Martin sagte, sie sei froh, dass sich mehr Roma in sozialen Medien über Missstände äußerten, aber die Konfrontation mit Rassismus dort könne auch eine wütende Gegenreaktion hervorrufen.

Während die Details der Razzia in Bolintin-Vale noch vor Gericht geklärt werden müssen, gibt es für die Bewohner der Siedlung keinen Zweifel an der Grundhaltung, mit der sie durchgeführt wurde. „Die Polizei hatte Spaß“, sagte einer der Männer, eine Aussage, die von seinen Nachbarn wiederholt wurde. „Sie sagten, dass sie es genossen haben, uns zu schlagen, dass wir ihr Spaß sind. Sie haben uns dreckige Z. genannt.“

Freie, zusammenfassende Übersetzung eines Artikels von Andrei Petre vom 31.03.2021 für Reporting Democracy.

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