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Die nackten Fakten: Asyl und Abschiebungen von Roma in 2020.

Bei der Entscheidung, die sechs Westbalkanstaaten in den Jahren 2014 und 2015 zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, wurde die menschenrechtliche Situation der Roma dort ignoriert. War die Bleiberechtssituation von Roma aus diesen Ländern bereits zuvor nicht allzu gut, so bedeutet die Einstufung, dass ihre Asylanträge nun so gut wie immer abgelehnt werden. Zusätzlich führte sie zu einer weiteren Stigmatisierung von Roma als „Wirtschaftsflüchtlinge“.

Bei den so genannten Westbalkanstaaten handelt es sich um Albanien und die post-jugoslawischen Länder Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien sowie Kosovo. In 2020 lag die Gesamtschutzquote (Flüchtlingsschutz nach §3 I AsylG oder Abschiebungsverbot) bei 0,1% (Serbien, Nordmazedonien) und 2,1% (Kosovo). Für die drei weiteren Staaten liegen die Quoten zwischen diesen Zahlen.

Mehr als die Hälfte der Asylanträge, die von Menschen aus diesen Ländern in 2020 gestellt wurden, waren Folgeanträge und stammen somit von Menschen, für die das nicht der erste Antrag war. Bei allen postjugoslawischen Staaten sowie beim Kosovo sind selbst nach offiziellen Zahlen die meisten Antragsteller_innen Roma. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen, da viele Menschen aus Angst vor Diskriminierung nicht angeben, Roma zu sein. In 2020 gab es beispielsweise 1292 Asylanträge von Personen aus Serbien, davon gaben 1036 an, Roma zu sein. Nur einer dieser 1292 Anträge führte zu einem Schutzstatus nach §3 I Asylgesetz. Die anderen wurden entweder als unbegründet oder offensichtlich unbegründet abgelehnt oder anderweitig erledigt.

Die Fraktion die Linke hat in einer Kleinen Anfrage den Bundestag gefragt, wie viele Abschiebungen es 2020 gab. Insgesamt gab es 10800 Abschiebungen, darunter Menschen mit folgenden Staatsangehörigkeiten:

Albanien: 1006 Personen (davon 234 Minderjährige)
Serbien: 754 Personen (davon 227 Minderjährige)

Nordmazedonien: 427 Personen (davon 149 Minderjährige)

Kosovo: 317 Personen (davon 62 Minderjährige)

Bosnien und Herzegowina: 173 Personen (davon 45 Minderjährige)

Montenegro: 110 Personen (davon 44 Minderjährige)

Nach Moldawien gab es zudem 654 Abschiebungen (davon 240 Minderjährige), nach Rumänien 340 und nach Bulgarien 106. Auch aus diesen Ländern stammen viele Roma.

Der Kleinen Anfrage lässt sich zudem entnehmen, dass trotz Corona über das Jahr 2020, mit Ausnahme des April, Sammelabschiebungen in die Westbalkan-Staaten stattfanden, obwohl unter anderem die Gesundheitsversorgung für (abgeschobene) Roma dort katastrophal ist. Daher hatte das Roma Center zusammen mit dem Bundes Roma Verband von den Innenministerien der Länder sowie vom Bundesinnenministerium einen generellen Abschiebestopp in der Corona-Pandemie gefordert – ohne Erfolg.

Bekannt geworden war etwa die Abschiebung von Mire und Sali, einem älteren Roma-Paar, das fast 30 Jahre in Deutschland gelebt und seine ganze Familie hier hatte. Die beiden wurden aus Baden-Württemberg in den Kosovo abgeschoben, obwohl sie chronisch krank waren. Sali ist vier Monate nach der Abschiebung gestorben. Mire wurde danach die Wiedereinreise gewährt.

Beispiele wie das von Mire und Sali stehen der Erzählung von Politiker_innen entgegen, dass vor allem Straftäter abgeschoben würden. Allein an der Anzahl Minderjähriger, die abgeschoben wurden, sieht man, dass es sich vielfach um Familien mit Kindern handelt, darunter auch alleinerziehende Mütter mit Kindern.

Nach wie vor werden auch Menschen abgeschoben, die in Deutschland geboren wurden. So wurden im Dezember zwei etwa 20 Jahre alte Männer abgeschoben, die in Göttingen geboren wurden und deren Familien hier leben. Eine 18-jährige Romni, die ebenfalls in Niedersachsen geboren wurde, ist der Abschiebung nur entgangen, weil sie durch Zufall nicht zu Hause war, als die Polizei sie abholen wollte. Auch sie wäre allein abgeschoben und in Serbien sich selbst überlassen worden. Die niedersächsische Härtefallkommission hatte sich eigentlich dafür ausgesprochen, dass die Familie einen Aufenthalt bekommt. Der Innenminister jedoch lehnte diese Empfehlung ab.

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