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Spanische Roma werden von gewalttätigen Mobs vertrieben

Am 17. Juli 2022 starb der 29jährige Türsteher Álvaro Soto nach einem Streit in Peal de Becerro (Jaén), Andalusien, an Stichwunden. Die mutmaßlichen Täter, Angehörige der Roma-Community, wurden verhaftet. Zwei Personen wurden ohne Anklage freigelassen, zwei weitere befinden sich in Haft und warten auf den Prozess.

Der Mob konnte jedoch nicht warten. Statt dass einzig die mutmaßlichen Täter zur Verantwortung gezogen werden – und zwar durch das zuständige Gericht wie es in einem Rechtsstaat vorgesehen ist – wird eine ganze Community für eine Straftat von Individuen bestraft. Kollektiv-Bestrafungen gehören in Europa zu gängigen Praxen von Rassismus gegen Roma. Was am Tag nach dem Tod  Álvaro Sotos passierte, bezeichnen manche als Pogrom:

Bei einer Demonstration in Peal de Becerro forderten die Demonstrant:innen „Gerechtigkeit für Soto“ und die Ausweisung der Familien der mutmaßlichen Täter aus dem Ort. Wie unter anderem die Roma-Organisation Fundación Secretariado Gitano (FSG) schreibt, kam es nach der Demo zu gewalttätigen Ausschreitungen. Dabei haben Anwohner:innen sowie Bewohner:innen der umliegenden Orte Roma-Familien bedroht und versucht, sie zum Verlassen ihrer Häuser zu zwingen. Mehrere Fahrzeuge wurden umgeworfen, Häuser der Roma-Familien wurden angezündet. Rassistische Kommentare wurden an Hauswänden und in Wohnungen hinterlassen. Personen drangen in die Häuser von Roma ein und verwüsteten ihr Eigentum.

Aus Angst vor dem Mob sind 31 Mitglieder aus sieben Roma-Familien daraufhin aus dem Ort geflohen. Darunter sind kranke, ältere und schutzbedürftige Menschen. Wie Romea schreibt, wurden sie auch an anderen Orten angegriffen und mit Protesten konfrontiert. Sie haben Angst, in ihre Häuser nach Peal de Becerro zurückzukehren.

FSG drückt Álvaro Sotos Familie ihr Beileid aus und vertraut der Justiz, die Verantwortlichen für seinen Tod zur Rechenschaft zu ziehen. Gleichzeitig kritisiert die Organisation die Selbstjustiz, die auf die Tat folgte:

„Es ist nicht hinnehmbar, dass eine Gruppe von Menschen das Recht in die eigenen Hände nimmt, die Ausweisung der Roma-Familien aus der Stadt fordert oder die Häuser dieser Familien niederbrennt oder ihre Fahrzeuge umwirft. Angesichts dieser unsicheren und verletzlichen Situation müssen die staatlichen Behörden die Rechte aller Menschen schützen. Wir bitten die Sicherheitskräfte und die Stadtverwaltung um Schutz für die Familien, die in den letzten Tagen Opfer von Angriffen und Drohungen geworden sind.“ Zudem drückt die Organisation ihre Besorgnis darüber aus, dass die ethnische Zugehörigkeit in diesem Ausmaß medial in den Mittelpunkt gestellt wird. FSG hat daher Anzeige bei der Provinzstaatsanwaltschaft wegen Hate Crimes (Verbrechen aus Hass) erstattet.

Der Abgeordnete und Roma-Aktivist Ismael Cortés hat bereits am 19. Juli auf seiner Facebook-Seite geschrieben, er habe das Innenministerium um Schutz für die Roma-Familien gebeten. Auch er weist auf das falsche Rechtsverständnis des rassistischen Mobs hin: „Die ethische und rechtliche Verantwortung für eine Straftat liegt immer bei einer bestimmten Person oder einer Gruppe von Personen. Die Verantwortung für ein Verbrechen kann niemals abstrakten Einheiten wie Kulturen, Ethnien, Rassen oder Religionen zugeschrieben werden.“

Der Journalist José Santos kritisiert die Beschreibungen der Mob-Justiz als “friedliche Demonstrationen, Mobilisierungen oder Auseinandersetzungen” durch spanische Medien und dass sie die ethnische Herkunft der mutmaßlichen Täter betonten, während die Gewalt gegen die Roma-Community marginalisiert werde. Er fragte: “Wo waren die Sicherheitskräfte von Peal de Becerro, als die Nachbarn die Häuser zerstörten und die Autos der unschuldigen Menschen umwarfen? Warum wurde den Opfern während der Gewalt-Eskalation keine Hilfe oder Schutz gewährt?”

Auch zahlreiche weitere spanische Roma-Organisationen kritisieren nicht nur den rassistischen Mob, sondern auch Politik und Medien. Insbesondere wird der Bürgermeister von Peal de Becerro kritisiert. Dieser hat nämlich den Bewohner:innen des Ortes und den Medien für die wunderbare und “beispielhafte” Demonstration zum Tod des jungen Mannes gedankt.

Die Ministerin für soziale Rechte Ione Belarra, hat eine Sitzung einberufen, an der der Staatsrat der Roma (Consejo Estatal del Pueblo Gitano) teilnehmen soll. Der Staatsrat der Roma ist ein Gremium, in dem verschiedene Roma-NGO beteiligt sind. Auch er hatte in einem Statement die Medien aufgefordert, Äußerungen zu unterlassen, die eine ganze Gruppe für die Taten von Individuen verantwortlich machen.

Eine Kommission wurden gegründet, die die Interessen der betroffenen Roma-Familien vertreten soll. Sie besteht aus zwei von den betroffenen Familien gewählte Personen sowie fünf Personen aus Roma-Organisationen.

Mittlerweile untersucht der spanische Ombudsmann, zuständig für die Verteidigung der Bürgerrechte, die gegen Roma gerichtete Vorfälle in Peal de Becerro, nachdem die Sociedad Gitana Española Beschwerde eingereicht hatte. Er hat eine Untersuchung gegen den Stadtrat von Peal de Becerro und die Regierungsdelegation von Jaén eingeleitet.

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