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Die letzte Instanz im WDR. Rassismus gegen Roma und Relativierung von Polizeigewalt

Zwei Tage nach dem Internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust und kurz vor dem Jahrestag des rassistisch motivierten Terroranschlags von Hanau hat der WDR in der Sendung „Die letzte Instanz“ weiße Fernseh-Personen eingeladen, um über Rassismus und Polizeigewalt zu diskutieren. Gäste also, die über keine Erfahrung mit erlebtem Rassismus verfügen oder sonst eine Qualifikation haben, zum Thema zu sprechen und das mit jedem Satz unter Beweis stellten.

Die erste Frage ging von Schönebergers Schenkelklopfer-Humor aus: „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ Die vier Gäste argumentierten dann auch auf dem Niveau eines Stammtischs, sprachen im Namen ihrer „vielen ausländischen Freunde“, die sich von sowas angeblich nicht diskriminiert fühlten und erklärten im Wesentlichen Menschen, die tagtäglich Rassismus erfahren, dass sie sich mal nicht so anstellen sollen und dass es wichtigere Probleme auf der Welt gebe.

Mit dieser Einstellung sind sie natürlich nicht allein, und das ist das größere Problem. So stimmten am Schluss alle Gäste sowie die Personen im Studio (bei denen es sich wegen Corona nicht um Zuschauer_innen, sondern um Mitarbeiter_innen des WDR handelte) bis auf eine damit ab, dass das Ende rassistischer Bezeichnungen kein notwendiger Schritt sei. Auch 84,1% der Fernsehzuschauer_innen stimmte, wie die „nicht repräsentative Umfrage“ zeigt, so ab. Die Gäste sprachen also nur dem weit überwiegenden Teil der Mitte der Gesellschaft aus der Seele.

Dennoch gab es – nach einem heftigen Shitstorm – eine halbherzige Entschuldigung des WDR. Zwei der Gäste entschuldigten sich für ihre Äußerungen und gelobten Besserung. In der Kritik an der Sendung und den Entschuldigungen geht es aber eigentlich nur um den Alltagsrassismus in der Sendung.


Rassismus relativierender noch als die Saucen-Frage war allerdings die Frage: „Good Cop, Bad Cop. Können wir der Polizei noch vertrauen?“. Sie wurde explizit vor dem Hintergrund von Racial Profiling,Gewalt und Rechtsextremismus in der Polizei gestellt. Warum TV-Promis ohne erlebte Rassismus-Erfahrung über derart komplexe gesellschaftliche Probleme überhaupt diskutieren sollen, ist nicht nachvollziehbar.

Erstmal hat der eingeladene Schlagersänger sich mit seiner mehr als fragwürdigen Auffassung von Gerechtigkeit gebrüstet: Einen Einbruch in seiner Kneipe hat er zwar bei der Polizei angezeigt, aber dann in Selbstjustiz „aufklärt“. Soviel zu seinem eigenen Vertrauen in die Polizei.

Erst kürzlich wurde öffentlich, dass die Berliner Polizei rechtswidrig Daten von Roma und Sinti erhoben hat. In Deutschland hat es seit mehreren Jahrhunderten Tradition, Roma mit „Kriminalität“ in Verbindung zu bringen. Allein die stigmatisierende Fremdbezeichnung, die sich von „Zieh-Gauner“ ableiten lässt, zeigt dies. Die Polizei spielte über 250 Jahre eine wesentliche Rolle bei der Erfassung und Verfolgung. Spätestens ab 1899 wurde das Konzept der „Z.kriminalität“ polizeilich institutionalisiert. Im Kaiserreich gab es etwa Erlasse zur „Bekämpfung des Z.unwesens“, in der Weimarer Republik ging es mit entsprechenden Gesetzen weiter. Die Verfolgung gipfelte schließlich in der Vernichtung der europäischen Roma und Sinti (Porajmos). Basis hierfür war das systematische Erfassen der Sinti und Roma.

Nach dem Krieg wurden Sondererfassung, Überwachung und andere polizeiliche Repressalien fortgeführt. Kein Wunder, entsprechende Zuständigkeiten fielen in den Bereich von Personen, die bereits im Krieg für die Deportation von Roma und Sinti zuständig waren. Bis in die frühen 2000er liegen nach Markus End Nachweise dafür vor, dass entsprechende Kategorisierungen angewandt wurden. Die Berliner Polizei zeigt, dass sie das auch heute noch kann.

Dass nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, einschließlich Deutschland, Menschen immer wieder Opfer von Racial Profiling und rassistisch motivierter Polizeigewalt werden, wird in der WDR-Sendung banalisiert und relativiert. So meinte ein Gast, die Polizei habe immer wieder mit den Integrationsgescheiterten zu tun und so könne einer schonmal zum AfD-Sympathisanten werden. Ein anderer meinte, Polizist_innen würden permanent beleidigt, angespuckt und geschlagen und würden dann auch noch angezeigt. Das weiß er, da er nicht nur viele ausländische Freunde, sondern auch viele Freunde bei der Polizei hat.

Weg von Küchenpsychologie und gefühltem Wissen, wieder hin zu den Fakten. Eine noch nicht ganz abgeschlossene Studie der Ruhr-Uni-Bochum zu rechtswidriger Polizeigewalt besagt: Diskriminierung ist kein Fehlverhalten einzelner Polizist_innen, sondern ein strukturelles Problem. Neben der überproportionalen Diskriminierungserfahrung von People of Colour erfährt man aus der Studie auch, dass nur 9% aller Befragten (unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft) Polizeigewalt anzeigten. Jedoch berichteten 21% der befragten People of Colour, dass die Polizei sich weigerte, die Anzeige aufzunehmen (bei Weißen waren es 10%). Insgesamt kommen weniger als 2% der angezeigten Fälle vor Gericht, und in weniger als 1% der Fälle kommt es zu einer Verurteilung.

Zum Thema Antiziganismus und Polizei siehe Markus Ends entsprechende Studie. Er geht darin auch auf die historischen Kontinuitäten ein.

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