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Roma in der Corona-Krise. Teil 4

Roma in der Corona-Krise. Teil 4

Aktuelles zur Situation in der Türkei, in Bulgarien, Serbien, der Slowakei und Deutschland

Der diesjährige Internationale Roma-Tag stand ganz unter dem Einfluss der Corona-Krise. Ist er sonst der Tag, an dem Roma auf die Straße gehen, um gegen Diskriminierung, Rassismus und Verfolgung und für Gleichberechtigung zu kämpfen, war das dieses Jahr nicht möglich. Proteste und Forderungen fanden weitgehend Online statt.

48 türkische Roma-Organisationen haben den 8. April in diesem Jahr genutzt, um eine gemeinsame Erklärung zu veröffentlichen: Darin kritisieren sie, dass sie weiterhin mit „tiefer Diskriminierung” konfrontiert seien und dass der größte Kampf ihres Volkes derzeit nicht so sehr gegen COVID-19, sondern vielmehr gegen den Hungertod infolge von Arbeitsverlust und staatlicher Vernachlässigung stattfinde. Auch die türkischen Roma trifft die Krise hart. Ähnlich wie in anderen Länder, leben viele von Arbeit, die durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen verunmöglicht wird: Sammeln von Wertstoffen oder musikalischen Auftritten bei Festen.

“Die Roma sind nicht in der Lage, ihre grundlegendsten Rechte wahrzunehmen. Wenn sie es versuchen, sehen sie sich mit Diskriminierung und ernsthaften Hindernissen konfrontiert”, heißt es in der Erklärung. Die Organisationen klagen an, dass überwiegend Roma-Viertel von den Behörden nicht desinfiziert würden – mit der Begründung, dass “die Roma das Virus ohnehin in sich tragen”. Eine weitere Variante des rassistischen Vorurteils von Roma als Krankheitsüberträgern. Die NGOs stellen 14 Forderungen für die Dauer der Pandemie auf, darunter regelmäßige finanzielle Unterstützung, kostenlose Lebensmittel und Hygieneartikel für die Ärmsten.

Während Erdogan sich nicht äußerte, gratulierte der Istanbuler Bürgermeister den Roma auf Twitter zum Internationalen Roma-Tag und schrieb: “Die Coronavirus-Pandemie hat Hunderttausende von Roma schwer getroffen, die ihren Lebensunterhalt durch prekäre Arbeit verdienen. Wir werden diese harten Tage gemeinsam und als Einheit durchstehen”, versprach er. Jetzt muss er seinen warmen Worten Taten folgen lassen. Die türkische Regierung hat versprochen, Menschen mit geringem Einkommen finanziell unter die Arme zu greifen. Ob auch Roma daran partizipieren können, werden wir sehen.

Man kann darüber streiten, wie drastisch die Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Erkrankungen sein müssen. Während es in Deutschland noch relativ wenig Restriktionen gibt, so gibt es in Serbien drastische Ausgangssperren. Es sind Maßnahmen, die für alle erstmal gleichermaßen gelten. Wir haben bereits berichtet, dass sich die Maßnahmen jedoch nicht in gleichem Maß auf die Menschen auswirken. Kann die Durchschnittsbevölkerung noch arbeiten gehen, sind die Menschen in den verarmten Roma-Siedlungen der ost- und südosteuropäischen Länder weitgehend davon abgeschnitten, ihren Lebensunterhalt verdienen zu können.

In Serbien gab es tatsächlich eine Hilfsaktion der Regierung, die Menschen in Not unterstützen sollte, jedoch war das zum einen nur ein Tropfen auf den heißen Stein und zum anderen haben viele gar nichts bekommen. Dazu gehören Menschen ohne Papiere, also jene, die auch gänzlich von Sozialhilfe und Krankenversicherung ausgeschlossen sind.

Statt die gefährdeten Menschen besonders zu schützen und zu unterstützen, werden Roma mal wieder zu Sündenböcken stilisiert – so wurden sie unter anderem in Bulgarien verdächtigt, das Virus eingeschleppt zu haben. Ein uraltes Stereotyp. Obwohl noch niemand positiv getestet war, wurden in mehreren Städten die Roma-Siedlungen isoliert und die Eingänge polizeilich kontrolliert.

In der Slowakei kündigte der Premierminister am 1. April an, Militärärzte in die Roma-Siedlungen zu schicken, um Tests auf das Corona-Virus durchzuführen. Vor fast einem Monat wurde die erste Infektion in der Slowakei festgestellt. Die Ankündigung erfolgte aber erst, nachdem berichtet wurde, dass ein Roma-Mann von seiner Arbeit in Großbritannien zurückgekehrt sei, sich aber nicht in die obligatorische 14tägige Selbstisolation begeben habe. Obwohl der Mann mittlerweile negativ getestet worden war, blieb die ganze Siedlung, in der er lebt, bis zum 8. April gesperrt.

Nach den durchgeführten Tests in den Roma-Siedlungen, wurde mittlerweile eine Person positiv getestet. Die Bevollmächtigte der slowakischen Regierung für Roma-Angelegenheiten hatte zuvor gegenüber Romea.cz geäußert: “Als Teil der Sicherheitsmaßnahmen werden die Menschen, deren COVID-19-Tests positiv ausfallen, in Einzelquarantäne gesteckt. Dies wird von den lokalen Behörden direkt in den betroffenen Gemeinden veranlasst. Wir wollen repressive Maßnahmen wie die Schließung ganzer Roma-Siedlungen oder von Teilen davon vermeiden.” Da man den Einsatz von Militär für die Durchführung der Tests nun nicht gerade als moderat bezeichnen kann, ist diese Aussage mit Vorsicht zu genießen. Mit Test-Ergebnissen ist ab 10. April zu rechnen.

Nicht nur im Osten ist die Lage schlimm. So schreibt der Förderverein Roma in Frankfurt:

Anstatt schnell und angemessen Unterkünfte für obdachlose Roma zur Verfügung zu stellen, lassen sich auch viele westeuropäische Städte Zeit. Frankfurt reagiert bezüglich der Bereitstellung von adäquaten, den aktuellen Gesundheitsempfehlungen gemäßen Räumen völlig ungenügend. Ein schwer körperbehinderter Mann, der zur Corona-Hochrisikogruppe gehört, befindet sich in der Notunterkunft, anstatt endlich ein passendes Hotelzimmer, in dem Distanz und Hygiene gewahrt werden können, zu erhalten. Eine Familie, in der die Mutter beschäftigt, der Vater auf Arbeitssuche ist und die Kinder notdürftig bei Bekannten untergebracht sind, bleibt aufgrund fehlender behördlicher Unterstützung völlig schutzlos in der Obdachlosigkeit. Nicht zuletzt Roma, die gezwungen sind, auf der Straße zu leben, ihre Existenz durch Musik, das Sammeln von Pfandflaschen, durch Betteln und Tagesjobs notdürftig sichern, sind durch das weitgehende Einstellen des öffentlichen Lebens betroffen. Ihnen muss Aufmerksamkeit, Schutz und Hilfe zukommen. Menschen, die bereits durch ein Leben am Rande der Gesellschaft, durch chronische Krankheiten und eine umfängliche Form der Ausgrenzung gezeichnet sind, sind einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt.

Die ersten drei Teile findet ihr auf unseren Homepages: hier, hier und hier.

Unsere Spendenaktion für Roma in Serbien geht weiter.

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