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Roma in der Corona-Krise. Teil 6: Frankreich, Irland, Schottland, Griechenland, Moldawien

Roma in der Corona-Krise. Teil 6: Frankreich, Irland, Schottland, Griechenland, Moldawien

Auch innerhalb der alten EU-Länder treffen das Corona-Virus und die Maßnahmen gegen seine Ausbreitung Roma in gravierenderem Maß als viele andere. Wir haben bereits über Deutschland berichtet. In Frankreich leben viele Roma in beengten und armen Verhältnisse, die soziale Distanzierung und gute Hygiene nahezu unmöglich machen. Fast die Hälfte der rund 200 Bewohner_innen der Pariser Banlieue Saint-Denis sind weggegangen, als die Pandemie in Frankreich einsetzte. Diejenigen, die dort bleiben, haben nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dingen wie fließendem Wasser und medizinischer Versorgung.

Eine Mitarbeiterin von Médecins du Monde sagt: “Wir haben es mit einer doppelten Gesundheitskrise in den Slums zu tun, denn wenn das Corona-Virus eintrifft, werden die Menschen zum einen große Probleme haben, Zugang zu medizinischer Versorgung zu bekommen, und zum anderen fehlt ihnen oft der Zugang zum Notwendigsten wie Wasser und Toiletten. Die Menschen leben zudem beengt und es gibt nicht die Möglichkeiten, Menschen zu isolieren, die infiziert sind.“

Wie der Direktor von Solidarités International äußerte, verbreiten sich Epidemien an solch isolierten Standorten wie Saint-Denis oft erst später als im Rest der Gesellschaft. Aber wenn das Virus sie dann erreiche, verschlechtere sich die Situation sehr schnell.

Die irische Aktivistin für die Rechte der Traveller, Dr. Sindy Joyce, fragte kürzlich auf Twitter: “Mincéir-Familien, die an überfüllten Orten mit beschränktem oder gar keinem Zugang zu Wasser leben und nur gemeinsame mobile Toiletten haben – gibt es Pläne, diese Familien zu schützen?

Jahrelang haben es die lokalen Behörden in Irland versäumt, die Unterkunftskrise für Traveller zu lösen, sich geweigert, verfügbare Mittel abzurufen und häufig auf Zwangsräumungen zurückgegriffen, bei denen Familien auf die Straße gesetzt wurden. Wie Joyce erklärte, sind diese Versäumnisse kein Zufall: “Die Rassentrennung ist tief in der irischen Gesellschaft verwurzelt, in der Feindseligkeit und Gewalt gegenüber meinem Volk als gerechtfertigt angesehen wird, weil wir „anders“ sind als die sesshafte Mehrheitsbevölkerung.“

Pavee Point Traveller and Roma Centre äußerte zur Lage: “Die bittere Realität sieht so aus, dass Traveller eine der verwundbarsten Gruppen hinsichtlich dieser Krise sind, und dennoch werden viele Traveller nicht in der Lage sein, sich (wie empfohlen) effektiv selbst zu isolieren”.

Wie die Griechenland-Zeitung berichtet, wurde in einer Roma-Siedlung in der mittelgriechischen Stadt Larissa am 9. April der Notstand ausgerufen. Zunächst war ein 32-jähriger Mann, der in der Siedlung wohnt, positiv auf das Covid-19-Virus getestet worden. Bei mindestens 20 Menschen, mit denen er Kontakt hatte, wurden ebenfalls positiv getestet. Die Situation vor Ort wurde inspiziert und  die Siedlung wird bis zum 23. April unter Quarantäne gestellt. „Gefährdete Gruppen“ sollen vorläufig in Hotels untergebracht worden sein und die lokalen Behörden die Menschen in der Siedlung mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgen, berichtet die Zeitung.

Nach Gerüchten in Social Media haben viele der rumänischen Roma im schottischen Govanhill den Ort verlassen,um nach Rumänien zurück zu kehren, da sie sich bedroht fühlen. Online waren Bilder mit der Behauptung verbreitet worden, es zeige Roma in Govanhill. Es hat sich herausgestellt, dass sie aus anderen Gegenden Großbritanniens stammen.

Es ging unter anderem um ein Bild einer kleinen Familiengruppe bei einer Beerdigung. Davie Donaldson, Vorsitzender von Romano Lav, sagte: “Diese Bilder haben eine angespannte und rassifizierte Atmosphäre geschaffen, in der Govanhills Roma-Communities in Bezug auf soziale Distanzierung auf unfaire Weise ins Rampenlicht gerückt werden. Er sei entsetzt darüber, dass Roma, die einen geliebten Menschen verloren haben, angegriffen werden, statt dass die Leute Mitgefühl zeigen.

In Govanhill sind die Roma-Familien oft in beengten Unterkünften mit schlechtem Standard untergebracht. Viele Mitglieder der Roma-Community in Govanhill arbeiten als Schlüsselkräfte und sind daher einem höheren Risiko ausgesetzt, sich zu infizieren. Sie arbeiten in der Landwirtschaft, in der Nahrungsmittelproduktion, in in Lagerhäusern und anderen Verteilungszentren sowie in der Reinigung von Krankenhäusern und Pflegeheimen.

Auch in Govanhill sind nun viele Roma-Kinder von Bildung ausgeschlossen da die Schulen und Bibliotheken geschlossen sind und viele keinen Internetzugang haben.

In Moldawien leben 38 Prozent der Roma in Armut, während das Armutsniveau im Rest der Bevölkerung bei sieben Prozent liegt. Die Menschenrechtsaktivistin Natalya Duminika schätzt, dass 90 Prozent der Roma keine feste Arbeit haben, viele sind auf Einkommen als landwirtschaftliche Saisonarbeiter angewiesen. Für viele Roma-Kinder seien Kindergarten und Schule der einzige Ort, an dem sie essen könnten. Unter Quarantäne ist ihnen diese Möglichkeit genommen, und ohne Computer und Internetzugang können sie nicht am Fernunterricht teilnehmen. Nur die Hälfte der Kinder kann überhaupt zur Schule gehen, und diese Faktoren werden sich nun zusätzlich negativ auf die allgemeine Alphabetisierung der Roma auswirken.

Die Preise für Gesichtsmasken und Handschuhe haben sich in letzter Zeit verdreifacht. Roma können sich diesen Luxus meist nicht leisten. Zudem fehlt es vielen Roma an Wasser, was die Hygienemaßnahmen erschwert oder unmöglich macht, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Infolgedessen nimmt die Zahl der Infektionen zu, doch sei es schwierig, genaue Zahlen zu bestimmen, so Duminika, da sich Roma mangels Krankenversicherungen nur selten an medizinische Einrichtungen wenden, um Hilfe zu erhalten.

Am Stadtrand von Soroca, wo die meisten moldawischen Roma leben, wurden die Quarantänemaßnahmen verstärkt. Die Stadt hat die zweitmeisten registrierten Infektionsfälle in Moldawien. Um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, wurden die Polizei-Einheiten verstärkt und die Armee eingesetzt.

Hier geht es zu den fünf vorherigen Teilen der Artikelreihe:

Teil 1: Corona trifft die sozial Ausgeschlossenen besonders hart

Teil 2: Segregation, Exklusion und offener Rassismus

Teil 3: Roma-Frau und ihr Baby sterben in den Wehen

Teil 4: Türkei, Bulgarien, Serbien, Slowakei und Deutschland

Teil 5: Roma im Nahen Osten

Wir sammeln weiterhin Spenden für Roma, die vor dem Nichts stehen.

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